Basel Die eigene Kultur erkundet

Die Oberbadische
Die Forschungsgruppe Kreativwerkstatt stellt demnächst ihr Buch vor. Foto: zVg Foto: Die Oberbadische

Kreativwerkstatt: Menschen mit Behinderungen schaffen gemeinsam ein Buchprojekt

„Ich finde es bewundernswert, dass dieses Buch jetzt erscheint. Wir haben wirklich ein schönes, kreatives Projekt verwirklicht.“ Marcel H. bringt auf den Punkt, was auch die anderen sechs Mitglieder der „Forschungsgruppe Kreativwerkstatt“ empfinden.

Basel. Sie haben sich im Sitzungszimmer „Linde“ im Bürgerspital Basel getroffen, um die Vernissage ihres Buches vorzubereiten. Wer wird was beitragen? Wer möchte selber vor den hoffentlich zahlreichen Gästen sprechen, wer traut sich das eher nicht zu?

Marcel H., der sehr langsam und bedächtig spricht, will darüber berichten, was ihm persönlich das dreijährige Projekt gebracht hat, zum Beispiel besser aus sich herausgehen zu können. Er hat auch gelernt, digital zu fotografieren und die Bilder auf den Computer zu laden, zu ordnen und zu beschriften. „Teil einer Gruppe zu sein war mir wichtig“, sagt er, „obwohl es nicht immer einfach für mich war, inhaltlich mitzukommen.“ Sein Handicap liegt im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses und der kognitiven Verarbeitung. Darum macht er sich viele und ausführliche Notizen.

Seilziehen mit Ämtern

Auch die sehr scheu wirkende, psychisch beeinträchtigte Doris E. hat durch das Projekt wieder zu mehr Selbstsicherheit gefunden. Sie hat für das Buch Interviews geführt, Texte geschrieben, war die Korrektorin und traf Abklärungen für den Buchdruck. Christine K. wiederum hat viele Interviews geführt und einige längere Texte beigetragen, zum Beispiel über das Seilziehen mit den Ämtern und mangelndes Verständnis aufseiten der nicht Behinderten.

Ronald S. kann nur unter Mühen überhaupt sprechen, aber er hat wunderschöne sensible Farbstiftzeichnungen, unter anderem das Titelbild, zu dem Buch beigetragen. Und er war wegen seines unbedingten Durchhaltewillens äußerst wichtig für die Stabilität der Gruppe, berichtet Projektleiterin Irina Bühler.

Sie und ihr Kollege Erich Graf sowie Arbnora Aliu beschäftigen sich am Lehrstuhl „Sonderpädagogik: Gesellschaft, Partizipation und Behinderung“ der Universität Zürich mit dem Thema partizipative Forschung: Die Betroffenen sollen selber an der Erkundung ihrer Umwelt und ihrer Kultur mitwirken. „Die gemeinsame Forschung ermöglicht von Behinderung betroffenen Personen Teilhabe und Mitsprache. Man kann nur etwas über sie machen, wenn man es mit ihnen tut“, erläutert Bühler die Idee.

In den wöchentlichen Gruppensitzungen hat man Fragestellungen entwickelt, das Vorgehen festgelegt, Aufgaben verteilt und das gewonnene Material geordnet. Dabei hat jede und jeder nach seinen und ihren Fähigkeiten zum Buch beigetragen – auch der vom Down-Syndrom betroffene Thierry I., der mit seiner heiteren Wesensart und mit seinen selbst geschriebenen und verlesenen Tagebuchbriefen die Atmosphäre in den Sitzungen so positiv beeinflusst hat, und der im Buch mit den Worten zitiert wird: „Ich bin zufrieden. Wenn ich manche Kollegen anschaue, geht es mir doch gut!“

Das „Bürgerspital“ in Basel ist keine Akutklinik mehr, sondern ein sozial-medizinisches Unternehmen, das sich unter anderem der Begleitung von Menschen mit einer geistigen, psychischen oder körperlichen Behinderung annimmt. Eines seiner Angebote ist die Kreativwerkstatt, in der Menschen, die weder im ersten noch im zweiten Arbeitsmarkt Anschluss gefunden haben, in einer Tagesstruktur mit kreativem und kunsthandwerklichem Schwerpunkt arbeiten.

Ein halbes Dutzend Mitarbeiter dieser Kreativwerkstatt haben sich vor drei Jahren zu einer Gruppe zusammengefunden, die den Ort, an dem sie arbeiten, und das Verhältnis der dort Beschäftigten untereinander untersuchen und beschreiben. Daraus entstand das 175-seitige, reich illustrierte Buch „Begegnungswelten in der Kreativwerkstatt“ (ISBN 978-3-7418-5), das jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Vernissage ist am Donnerstag, 26. Januar, 17 Uhr in der Kantine des Bürgerspitals, Friedrich Miescher-Straße 30, Basel.

 Weitere Infos unter www.forschungsgruppe-kreativwerkstatt.ch.

Umfrage

Bettina Stark-Watzinger

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich für Zivilschutzübungen an Schulen ausgesprochen. Damit sollen Schüler besser auf den Kriegsfall, Pandemien und Naturkatastrophen vorbereitet werden. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading