Von Jürgen Scharf Basel. Viel Ehre erfährt Heinz Holliger zu seinem 75. Nicht nur hat ihm das Basler Theater aus Anlass seines Geburtstages die Inszenierung seiner Oper „Schneewittchen“ als faszinierend-sinnlichen Bilderrausch von Achim Freyer „geschenkt“. Jetzt holte das Sinfonieorchester Basel zum großen Geburtstagskonzert im Stadtcasino aus. Hier trat der berühmte Schweizer Oboenvirtuose als Dirigent, Solist und Komponist in Personalunion in Erscheinung. Das schönste Geburtstagsgeschenk machte sich der Jubilar aber selber mit der Aufführung seines Jugendwerks „Siebengesang“ für Oboe, Orchester, Singstimmen und Lautsprecher nach einem Gedicht von Georg Trakl. Als 28-Jähriger hat er 1967 seinen „Siebengesang“ vollendet. Damals galt der junge Holliger als „Paganini der Oboe“. „Er hat die Oboe zum großen Konzertinstrument gemacht“, schreibt Chefdirigent Dennis Russell Davies im Editorial des Programmhefts, und „immer aus seiner Seele gesungen durch dieses Instrument“. Das gelingt Holliger noch im reifen Alter. In diesem frühen Vokalstück, das wie so viele andere bei ihm auf den Themenkreis von Vergänglichkeit und Tod fixiert ist, ist sein Oboenton von der anfänglichen Solokadenz an präsent. In dem experimentierfreudigen Stück, das von Davies werkimmanent geleitet wurde und in dem Holliger einmal als Co-Dirigent eine Orchestergruppe dirigiert, bahnt sich seine „singende“ Solo-Oboe klanglich ausdrucksstark einen Weg durch das Klangdickicht des komplexen Orchesterklangs, wird vom Lautsprecher verstärkt und verfremdet. Gegen Ende im Lautsprecherteil kippt das Orchestertutti am Kulminationspunkt explosionsartig um in den leisen Schlussgesang von Trakls Vers „Windesstille der Seele“ – seelenvoll und rein gesungen von den Frauenstimmen des Lettischen Radiochors. Diese Stelle ist eine von vielen in Werken Holligers, bei der sich die Spannung entlädt. Zu hören war ähnliches in seiner Märchenoper über Robert Walser, wo in der Mordszene die emotional aufgeladene Musik mit an Alban Bergs „Wozzeck“ gemahnenden Klängen umschlägt. Ereignishaft auch der Schluss des „Siebengesangs“: Für den lang gehaltenen, erstarrten Spitzenton der Oboe hat Heinz Holliger noch immer den langen Atem! Hochvirtuos und perfekt beherrscht er sein Instrument und wird seinen eigenen, extrem erweiterten Spieltechniken und Herausforderungen auch im fortgeschrittenen Alter gerecht. Das von Holliger für großes Orchester und Chor transformierte letzte Klavierstück Debussys, von dessen Existenz die Nachwelt erst 2001 erfuhr, ist ein nicht ganz so radikales Werk wie „Siebengesang“: „Ardeur Noire d’après Claude Debussy“, dieses neue Orchesterwerk in der Art einer „interpretierten Komposition“ erklang in einer maßstäblichen, authentischen Interpretation des Dirigenten-Komponisten. Mit Mendelssohn hat sich der erklärte Schumann-Fan Holliger als Dirigent erst spät angefreundet. Aber er findet einen sehr guten Zugang zu ihm. Seine intensive durchpulste, flexible und bewegliche Interpretation der „Schottischen“ war faszinierend. Nirgends verschleppte Tempi. Holliger kein bisschen altersmild, sondern jugendlich-feurig. Mit Recht wurde er vom Publikum danach mit nicht enden wollendem Applaus geradezu überschüttet. Zum Schluss leitete noch einmal Chefdirigent Davies in Debussys „Trois Nocturnes“ das Orchester und den lettischen Frauenchor, der im Schlusssatz „Sirènes“ nonverbal, als reine Klangfarbe einsetzt.