Basel Gewissheit des Moments

Die Oberbadische
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Theater: Premiere der Schweizer Erstaufführung des Schauspiels „Idomeneus“ von Roland Schimmelpfennig

Von Dorothea Gebauer

Basel. „So war es nicht. So ist es nicht gewesen – es ist so gewesen!“ Im Theater Basel wird „Idomeneus“, eine antike Sage aus der griechischen Mythologie in 17 mögliche Deutungen heruntergebrochen. Ein Klassiker wird in der Mitte moderner Befindlichkeit verortet und seine Version aus der Feder von Roland Schimmelpfennig für das 21. Jahrhundert parat gemacht.

Dazu zählt auch, dass über dem Geschehen auf großer Leinwand wechselnde Emojis sekundenschnell in grellen Farben den Schein von echtem Gefühl assoziieren lassen. So, als habe der Zuschauer keine eigenen, als ob über Regieanweisungen von vorne angedeutet werden soll, welche Gefühle just in diesem Moment zu fühlen sind. Es ist die augenblickliche Situation und sonst nichts und niemand, die die Regie führt.

Die wirkliche Katastrophe ist nicht die, die der eigentlichen Erzählsage zugrunde liegt, sondern ihr Umgang damit. Nicht der Erzählkern oder Fakten stehen im Raum, es sind subjektive Befindlichkeit und intuitive Interpretation, die umherflirren und unterhalten.

Mutiger Held kehrt nach Troja zurück

Doch wer ist die Hauptfigur Idomeneus? Das hat zunächst 1781 Mozart in einer Oper beantwortet. Roland Schimmelpfennig nimmt sich 2008 seiner erneut an und macht für eine Inszenierung kaum Vorgaben. Der Plot der griechischen Sage jedoch zeichnet zunächst einen mutigen Helden. Dieser hat den Befehl über 80 Schiffe und kehrt nach zehn Jahren erfolgreicher Kriegsführung bejubelt nach Troja zurück. Andere Überlieferungen weichen von dieser Fassung ab und problematisieren bereits. So wurde anderswo der Sieg durch ein Opfer errungen, ist der Held ein Mörder, der seinen Ruhm mit den Göttern aushandelt.

Die Umsetzung unter der Regie von Milos Lolic verlässt sich ganz auf die Dichte und Schönheit des gesprochenen Textes. In aller Verwirrnis und Zerrissenheit von Fragment und Figuren bleibt dies unumstößlich stehen. Und er wird mal einzeln, mal gemeinsam, chorisch gesprochen und von der Gruppe, die sich unterschiedlichst positioniert, sich immerzu bewegt oder sich verstrickend auf dem Boden wälzt, übernommen.

Den Subtext übernehmen dabei nicht etwa das Göttliche oder das Schicksal. Im Zentrum steht der Kommentar, die Attacke, das laute verzweifelte Schreien oder fragendes Flüstern. Unsicherheit, Verstrickung in Schuld, Angst und Anklage scheinen Bestandteile eines Fluchs, der über allem liegt. Nirgends ist Erlösung, immerzu Kampf. Den Gott, den man in der Antike hatte besänftigen können oder dessen Gunst man errang, gibt es nicht. Der wäre bei Mozart noch untergekommen, nicht aber bei Schimmelpfennig.

Ab und an lassen sich Bezüge zur literarischen Vorlage erkennen. Die Protagonisten tragen Tauchanzüge, scheinen Zwitterwesen zwischen Untier und Mensch und halten sich zwischen Meer und Insel auf. Durch tropfende Nässe und Schmutz, den man sich zufügt, verliert der Boden auf der Bühne an Halt, nirgends ist das sich erschöpfende Selbst verwurzelt. Eindrücklich das Bild, als Schuhe, Kleider, Wasserflaschen auf der Bühne herumliegen und der Sprechchor sich ganz in die letzte Ecke verzogen hat. Die Ägäis, das glitzernde Blau, ist zum graubraunen, versifften einsamen Ort verkommen. Doch Idomeneus, der Angst vor dem Tod hat, hängt dennoch am Leben.

Das 21. Jahrhundert, so eine Botschaft, kehrt ins Mythologische zurück. So, als wolle man die Aufklärung und das Zeitalter der Vernunft kurz löschen. „Wir stehen an der Grenze von Aberglaube und Vernunft,“ sagt einer der Protagonisten. Fake news, Verschwörungstheorien sind nur einige Vorboten davon.

  Weitere Termine: 18. und 28. Mai, 12., 16. und 24. Juni, kleine Bühne, Schauspielhaus Basel

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