Basel Grandioser Erzähler mit Scharfsinn

Die Oberbadische
Literaturhaus-Intendantin Katrin Eckert hat den frisch gekürten Deutschen Buchpreisträger Robert Menasse vor dem Literaturhaus empfangen. Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Literatur: Buchpreisträger Menasse stellt im Literaturhaus Basel seinen Roman „Die Hauptstadt“ vor

Von Jürgen Scharf

Basel. „Da läuft ein Schwein!“ Einer jener ersten Sätze in einem Roman, die man nicht vergisst. Das Schwein läuft in Robert Menasses mit viel Witz, analytischer Schärfe und Ironie geschriebenem Europa-Roman „Die Hauptstadt“ mitten durch Brüssel. „Europa braucht eine Hauptstadt“, sagt der große Romancier und Essayist. „Wir bauen uns eine eigene als die Stadt der Zukunft“, so seine Vision.

Es war exaktes Timing, dieser Auftritt im ausverkauften Literaturhaus Basel, so kurz, nachdem der Wiener Autor den Deutschen Buchpreis für seinen vielschichtigen Roman über die EU-Bürokratie erhalten hat. Bevor er mit dem Gespräch mit Moderator Felix Schneider beginnt, zückt Menasse sein Smartphone, um ein Foto vom Publikum zu machen: „Für meinen Facebook-Account“. Das scheint eine bekannte Marotte des Schriftstellers zu sein, der gerne Fotos von seiner „qualifizierten Öffentlichkeit“, sprich den Zuhörern, macht.

Sehr glücklich über die Entscheidung des Buchpreises und die Terminierung der Lesung in Basel zeigte sich Literaturhaus-Intendantin Katrin Eckert. Sie bezeichnete Menasse als leidenschaftlichen Europäer, als Fechter für die europäische Idee, und auch als einen der ganz großen Experten mit Wissen, der schon vor zwei Jahren beim Festival BuchBasel zu Gast war. Es sei „ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit“, so Eckert, die vorwegnahm, was man nach dem Zuklappen des Buches empfindet: großes Lesevergnügen.

Und in der Tat: Robert Menasse, ein grandioser Erzähler und scharfsinniger Denker, kennt sich bestens aus in den Mechanismen der Brüsseler Bürokratie und gibt Einblick in die große Abstraktion namens Brüssel. Menasse hängt das Thema Beamtenadel und EU an lebendigen Menschen auf, macht es an einzelnen Personen fest, die ein politisches und wirtschaftliches Interesse haben. So blickt man trotz der verschiedenen Erzählstränge gut durch, hat einen Überblick über das Casting der Figuren. Denn Menasse erzählt verschiedene europäische Biografien und Mentalitäten. Es geht ihm um nationale Klischees, um nationale Identitäten, um die Globalisierung, die nichts anderes sei als die Zerschlagung nationaler Grenzen, um Interessenkonflikte und labile Kräfteverhältnisse.

„Die EU gibt es nicht“, postuliert Menasse, es gebe eine Institution und eine europäische Idee. Menasse plädiert für einen europäischen Pass statt nationaler Pässe, und er ist der festen Ansicht, dass alle Krisen in Europa auf den Widerspruch zwischen nationalen Interessen und nach-nationalen Entwicklungen zurückgehen.

„Heimat ist ein Menschenrecht, aber Nation eine Fiktion“, so Menasses Fazit. Seine Gedankengänge und seine Reflexionen über die Situation Europas sind also nur zu verstehen vor dem historischen Hintergrund von Auschwitz.

Ob alles in diesem Buch wahr ist oder manches erfunden? Natürlich hat der Autor gut recherchiert, in Brüssel mit Beamten gesprochen, die Rahmenbedingungen studiert, aber dann doch Figuren daraus gemacht, die Beamten typisiert. „Ich bin sehr fantasiebegabt“, so Menasse leicht selbstironisch. „Aber ich fantasiere auf der Basis realer Fakten“.

Das Schwein, das gleich im ersten Satz durch Brüssel läuft, taucht übrigens öfter noch mal auf, ein freilaufendes, verdrecktes, rosa Hausschwein, lächerlich und bedrohlich zugleich.

Vieles über das Phänomen Brüssel und EU ist nach dieser Lektüre fassbarer geworden. Denn Menasse redet gern und lange und setzt das Gespräch über Finanz- und Steuerpolitik mit dem Publikum auch noch nach der offiziellen Lesung auf der Straße vor dem Literaturhaus fort, immer kräftig an der Zigarette ziehend.

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