Von Jürgen Scharf Basel. Simon Rattle dirigierte es bei seinem Antrittskonzert als Chef der Berliner Philharmoniker; jetzt hatte es Baldur Brönnimann bei seinem Debüt als designierter Chefdirigent der Basel Sinfonietta auf dem Programm. Die Rede ist von Thomas Adès’ für Rattle komponiertem und von niemand Geringerem als Sir Simon uraufgeführtem Orchesterwerk „Asyla“. Endlosschleifen-Melodien und synthetische Techno-Akkorde Diese Sinfonie in vier Sätzen des Shootingstars der britischen Komponistenszene basiert auf einer drogenberauschten Tanzmusik-Inspiration, trumpft mit Endlosschleifen-Melodien und synthetischen Techno-Akkorden auf: ein mitreißendes und auch witziges Werk, das mit Mahlerschen Kuhglocken loslegt, auf dessen ersten, wilden Satz spätromantisches Geigenmelos und im dritten Satz mit dem Titel „Ecstasio“ Minimal Music folgt, und das richtig jazz-rockig aufhört. Diese symphonische Clubmusik erklang in einer Super-Interpretation durch das selbstverwaltete Orchester, das sich mit dem Basler Baldur Brönnimann als erstem Principal Conductor einen Spezialisten für Neue Musik aufs Dirigentenpult holt. Brönnimann, der erstmals mit der Basel Sinfonietta gearbeitet hat, versteht es mit klaren Gesten, präzisem Dirigat ohne showmäßige Fisimatenten, die hypnotischen Klanggegensätze auszuloten. Die Basel Sinfonietta folgt ihm an allen Pulten flexibel, farbig und willig in diese Klangwelt zuckender Rhythmen. War schon „Asyla“ ein kurzweiliges, aber ziemlich lautes Stück, so war das berühmte Orchesterwerk „Kraft“ von Magnus Lindberg aus den 1980er Jahren dann ein noch viel lauterer Kracher. Das Hammerstück hört man nur einmal im Leben! Der finnische Komponist war beim Soundcheck und Konzert selbst anwesend, spielte aber nicht mit (sonst ist er öfter am Klavier dabei). Das Orchester trat in Riesenbesetzung an, mit einer unglaublich großen Schlagwerkbatterie. Die Klangkulisse hat etwas Brutales an sich, verursacht einen, wie Lindberg einmal sagte, „metallischen Lärm“, der einen wesentlichen Teil des klanglichen Arsenals in diesem Orchesterstück ausmacht. Die Basel Sinfonietta wird hier zur Punkband. Sie klingt wuchtig, aber nicht zu rotzig; massiv, aber nicht zu aggressiv. Das ist wirklich Klangtheater! Tumultuöses Chaos – An allen Ecken der Messehalle 3 dröhnt es Das halbstündige Gewalt-Opus beginnt mit einem Orchesterknall hemmungsloser Kraftentfaltung, wobei einem das tumultuöse Chaos vorkommt wie ein Kampf aller gegen alle. An allen Ecken und Enden der Messehalle 3 dröhnt es. Solo-Instrumentalisten lösen sich aus den Orchestergruppen, spielen im Raum verteilt im Surround-Klang. Zu den Gongs kommt ein elektronisch verstärktes Schlagzeug mit martialischen Klängen. Das brachiale Stück ist ein aufsehenerregendes Spektakel. Das Publikum wird überrumpelt von einer Überdosis Power und Ekstase und der schieren Masse des Mammutorchesters – bombastischer geht es nicht. Baldur Brönnimann bedient sich cool aus dem klanglichen Werkzeugkasten von Lindberg, hat das monumentale Werk mit seinem analytischen Blick und den Orchesterapparat voll im Griff: Ein toller Einstand für den 47-Jährigen, der diese Saison noch Gastdirigent bei der Sinfonietta ist. Mit diesem furiosen Antrittskonzert hat Baldur Brönnimann die Feuerprobe glänzend bestanden! Vorausgegangen war mit „Ecstatic Orange“ des Amerikaners Michael Torke auch etwas Ungewöhnliches. Interessant ist die Visualisierung der Partitur mit projizierten Farbmustern und Formen. So kann man „sehen“, was akustisch passiert, hat die Farbenmusik nicht nur im Ohr, sondern auch vor Augen. Schließlich verfügen nur die wenigsten Zuhörer über die Gabe des Hörens in Farben.