Basel Macht statt Verwundbarkeit

Gabriele Hauger
Deborah Feldman spricht in der Kaserne Basel. Foto: Archiv

Interview: Autorin von „Unorthodox“, Deborah Feldman, über Berlin, Religion und Soziale Medien.

Basel - Deborah Feldman, 1986 in New York geboren, wuchs in der chassidischen Gemeinde in Williamsburg, New York, auf. Ihre Muttersprache ist Jiddisch. Ihre autobiografische Erzählung „Unorthodox“ wurde ein spektakulärer Bestseller und erreichte eine Millionenauflage – auch in der deutschen Übersetzung.

Nun kommt die Autorin am Dienstag, 21. Mai, 20 Uhr, in die Kaserne Basel und spricht in der Reihe „Macht und Verwundbarkeit“ mit Boris Nikitin über die Macht des Sprechens und Schreibens. Im Vorfeld unterhielt sie sich auf einem Spaziergang mit ihrem Hund durch einen Berliner Park am Telefon mit Gabriele Hauger.

Frau Feldman, Sie leben in Berlin. Auch dort ist – wie europaweit – zunehmender und offener Antisemitismus ein Thema. Wie sicher fühlen Sie sich? Ist Berlin dennoch Heimat für Sie geworden?

Ich fühle mich hier sicher. Ich kann auch nicht über zunehmende negative Erfahrungen berichten. Die Studien, von denen man ausgeht, wenn man über ansteigenden Antisemitismus spricht, deuten eher auf ein steigendes Bewusstsein dafür, wenn man genauer hinschaut. Und das wiederum sehe ich sogar positiv. Die Sensibilität steigt offensichtlich.

Ihr Sohn ist 13 und geht auf eine Berliner Schule. Wie sind seine Erfahrungen?

Er geht in eine Schule mit relativ großem jüdischen Anteil. Er hatte tatsächlich ein negatives Erlebnis. Die Schule reagierte aber sehr schnell und kompetent. Deswegen sehe ich das nicht als krasses Problem. Kinder mobben sich – aus den verschiedensten Gründen. Ein anderer Fall aus seiner Schule hat mich zudem nachdenklich gemacht: In den Medien wurde darüber extrem einseitig und vereinfacht berichtet. Das hat mich gegenüber anderen Berichterstattungen misstrauisch gemacht.

Das hört sich nach Journalistenkritik an.

Nein. Ich sehe den Journalismus in Deutschland als kompetent an. Ich glaube aber, es gibt hierzulande eine große Angst, klar und neutral über dieses Thema, wie über alle anderen Themen zu sprechen. Man spürt natürlich diese Verantwortung.

Da sind wir schon beim Thema Sprache. Sie sprechen in Basel über die Macht des Sprechens und Schreibens. Wie sehr wird diese Macht der Sprache missbraucht – gerade in den Sozialen Medien? Und bedeuten diese nicht gleichzeitig auch Freiheit?

Es gibt – wie bei allem Menschlichen – positive und negative Seiten. In der Geschichte der Menschheit haben negative Neigungen leider immer Vorrang – auch in den Religionen werden die betont. Die Tendenz der Menschen zum Bösen steht immer im Mittelpunkt. Wir beachten in den Sozialen Medien daher auch immer mehr das Brutale, Niederträchtige. Dabei wird oft vergessen, dass sie auch viel Positives bewegen können.

Wie gehen Sie mit Bashing im Internet um?

Ich verbringe nicht so viel Zeit online. Es ist nur ein kleiner Anteil meines Alltags. Solche Angriffe wirken auf mich irgendwie irreal.

Kann die chassidische Gemeinde in den USA, aus der Sie ausgebrochen sind, heute überhaupt noch so abgeschottet leben – Stichwort Smartphone.

Als ich ein Kind war, gab es zwei, drei Geschichten von Aussteigern. Heute sind es über 3000 in New York allein. Das liegt vor allem an dem durch die Smartphones möglichen Zugang zu Informationen, die niemand kontrollieren kann. Als Reaktion darauf hat sich die Gemeinde im übrigen noch strenger reglementiert. Die, die am Rande stehen, werden automatisch durch die Verengung rausgedrängt.

Gibt es auch Versuche, Sie zu vereinnahmen: von Parteien, Feministinnen oder anderen Gruppierungen?

Eine interessante Frage! Aber: Ich bin eine schwierige Person und lasse das gar nicht zu. Feministinnen versuchen das eh’ nicht, denn ich habe mich da sehr deutlich positioniert: Ich empfinde viele Feministinnen als sehr elitär und selbstbezogen. Die, die in der Öffentlichkeit stehen, sind oft selbst am wenigsten betroffen, sprechen sehr abstrakt über das Thema. Dem kann ich wenig abgewinnen. Dabei gäbe es sehr wichtige Aspekte, die deshalb verloren gehen.

Was politische Parteien betrifft, da versuchen schon manche mit mir zusammenzuarbeiten. Allerdings mache ich bei Versuchen, mich zu instrumentalisieren, schnell klar: Ich bin keine Werbung. Politisch bin ich durchaus engagiert, gehe immer wählen, arbeite individuell mit Politikern zusammen, wie zum Beispiel vor kurzem mit einer grünen Politikerin im Europaparlament. Nach nur viereinhalb Jahren in Deutschland kenne ich mich im Parteien-System aber noch viel zu schlecht aus, um mich einer gesamten Partei anschließen zu können.

Deutschland ist das Land Ihrer Vorfahren – und das Land der Täter. Begleitet Sie dieses Wissen stets in Ihrem Alltag?

Es ist eher umgekehrt. Viele Juden und Israelis spüren, dass gerade hier in Berlin an jeder Ecke die Vergangenheit lebendig ist. Die Stadt hat quasi die Erinnerungskultur in sich aufgenommen. Da kann man richtig aufatmen. Man hat das Gefühl, die Erinnerung ist im Alltag präsent. Man muss nicht ständig darum kämpfen, die Flamme am Leben zu erhalten, weil die Flamme längst zu einer gemeinschaftlichen Feuerstelle geworden ist.

Stichwort Israel. Als Jude wird man – zumindest hierzulande – fast automatisch auf politische, gesellschaftliche Themen des Landes angesprochen. Obwohl man ja nicht Bürger Israels ist. Nervt das?

Wenn mich etwas nervt, kann ich das deutlich ausdrücken. Ich stelle das dann richtig. Mir ist es nie zu viel, die Zusammenhänge zu erklären. Ich bin keine grollende Person. Jedes Gespräch sehe ich als Möglichkeit, die Welt des anderen zu beleuchten und anderen vielleicht etwas zu erklären – und vielleicht deren Wahrnehmung zu ändern.

Basel hat eine große jüdische Gemeinde. Auch Anne Franks Cousin Buddy Elias lebte hier bis zu seinem Tod. Wie wichtig sind Ihnen solche Hintergründe beim Besuch einer Stadt? Begeben Sie sich auf Spurensuche?

Oh, das habe ich gar nicht gewusst. Ich war noch nie in Basel, freue mich aber sehr auf den Besuch. Gehört habe ich von den tollen Picasso-Ausstellungen, die gerade verlängert worden sind. Die stehen unbedingt auf meiner Liste. Ich fliege extra früher los. Ich habe aber natürlich durchaus Interesse an der Geschichte jüdischer Gemeinden in Europa. Ich besuche ja regelmäßig Städte, in denen das jüdische Gemeindeleben noch funktioniert. Das beste Beispiel hierfür ist übrigens Antwerpen, wo es noch ein richtiges Schtetl, wie in der Vorkriegszeit, gibt. Und wo muslimische und jüdische Kinder zusammen spielen, die Menschen friedlich nebeneinander leben. Das werde ich mir in Basel auch ansehen müssen.

Welche Schwerpunkte möchten Sie im Gespräch mit Boris Nikitin setzen?

Das Thema der Gesprächsreihe lautet Macht und Verwundbarkeit und soll sich in meinem Fall damit beschäftigen, was für eine Überwindung es kostet, seine biografische Geschichte zu offenbaren. Es geht auch darum, dass für viele die eigene Vergangenheit mit Scham und Überwindung verbunden ist. Bei mir ist das indes nicht so. Das, was wir Verwundbarkeit nennen, ist für mich eigentlich Macht. Spannend! Ich freue mich auf das Gespräch.

Deborah Feldman im Gespräch (englisch) mit Boris Nikitin: Dienstag, 21. Mai, 20 Uhr, Kaserne Basel, Rossstall II, Eintritt frei

Zur Person

Mit 23 Jahren verlässt Deborah Feldman die ultraorthodoxe chassidische Gemeinde der Satmarer Juden in New York, und damit das Leben, das sie in ihrem Buch „Unorthodox“ beschrieben hat.

Sie folgt ihrem Traum, gemeinsam mit ihrem Sohn ein freies selbstbestimmtes Leben zu führen. Ihr Alltag wird zum Überlebenskampf. Mit der Publikation ihres Bestsellers „Unorthodox“ (2012) wird sie über Nacht zum Medien-Star. Sie verlässt New York, um auf dem Land die Werke der europäischen Literatur zu lesen und begibt sich auf die Spurensuche ihrer geliebten Großmutter, die den Holocaust überlebt hat, und sie reist zum ersten Mal nach Europa. Hin- und hergerissen zwischen Ängsten, Vorurteilen und Zweifeln und dem ersten Gefühl eines Ankommens, wird sie schließlich in Berlin in genau jenem Land Wurzeln schlagen, das die Satmarer Chassidim als das Übel schlechthin begreifen.

Mit ihrem neuen Werk „Überbitten“ stellt sie sich in die Tradition der Aufklärung des europäischen jüdischen Humanismus.

Der Regisseur, Autor, Essayist und Programmmacher Boris Nikitin, in Basel geboren und Sohn ukrainisch-slowakischfranzösisch-jüdischer Einwanderer, inszeniert in der internationalen freien Szene und an deutschsprachigen Stadttheatern.

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