Basel Verstörend, anklagend, berührend

Die Oberbadische
Blick auf die wandfüllende gezeichnete Assemblage, die vom „Mengele-Totentanz“ inspiriert ist. Foto: Gabriele Hauger Foto: Die Oberbadische

Museum Tinguely: Jérôme Zonders „The Dancing Room“ – inspiriert vom „Mengele-Totentanz“

Von Gabriele Hauger

Basel. Es sind beklemmende Gefühle, die den Besucher in der aktuellen Sonderausstellung im Museum Tinguely beschleichen. Der französische Künstler Jérôme Zonder setzt hier den Auftakt zu einer Reihe von Expositionen, die von Tinguelys berühmtem „Mengele-Totentanz“ (1986) inspiriert sind.

Grund für die Serie ist die Schaffung eines neuen, kapellenartigen Ausstellungsraums im Museum speziell für Tinguelys wohl politischstes Werk. In die kinetischen, ächzenden, rasselnden Skulpturen des Totentanzes, die aus den Überresten eines abgebrannten Bauernhofes geschaffen wurden, lassen sich geradezu apokalyptische Höllenvorstellungen hineininterpretieren. Es finden sich darin aber auch viele Zitate, Anspielungen und Gesellschaftskritik (wir berichteten).

Alle geladenen jungen Künstler setzen sich intensiv mit diesem Zyklus Tinguelys auseinander, vor allem auch mit seiner anhaltenden Aktualität.

Zunächst also Zonder, 1974 in Paris geboren. Sein „Dancing Room“ steht in der Bildtradition des Totentanzes, nimmt Bezug auf Tinguely und wirkt in der Auswahl der grausamen Szenen geradezu verstörend. Eine Wandseite wird von einer Art schwarzem, überdimensionalen, scharfkantigen Holzzaun dominiert, der an einen tödlichen Grenzwall erinnert.

Die Stirnseite, in der auch der Eingang zum Tinguely-Totentanzraum liegt, besteht aus einem gewaltigen „Wall Drawing“. Aus Kohle- und Grafitstaub schuf Zonder hier mit den Fingern tupfend ein riesiges apokalyptisches Szenario: aufgerissene Augen, sich dem Betrachter entgegenstreckende Hände. Sind es Zombies oder Ertrinkende? Ist es ein Albtraum oder Realität? Inspiriert wurde der Künstler dazu durch die TV-Serie „Walking Dad“. Das Berühren mit den eigenen Fingern währemd des Entstehungsprozesses ist ihm dabei wichtig, spiegelt es doch auch das Berührtsein, die Empathie wider, die seine Szenen von den Schattenseiten des Lebens verströmen sollen.

Die Hauptwand schließlich besteht aus zahlreichen Zeichnungen. Sie beschäftigen sich mit Gewalt-Exzessen: Nazi-Gräuel, Vergewaltigung, alltägliche Brutalität, Krieg, Verbrechen und Folter. Zitiert werden aber auch kunsthistorische Werke.

Zonder selbst beschreibt den Blick auf diese Fülle an Motiven wie eine Art Zappen durchs Internet, das ebenfalls gespickt mit Grausamkeiten ist, ob nachrichtlich oder privat.

Man sieht ein scheinbar harmloses Kinderzimmer. Zwei spielende Mädchen aber tragen ein scharfes Messer, wenden sich lachend einem hilflosen, gefesselten Opfer zu: eine Szene, die Gänsehaut verursacht. Und die besagen will, dass selbst unschuldige Kinder von omnipräsenter Grausamkeit beeinflusst werden.

Nachgezeichnete Bilder von KZ-Szenen, ein nacktes Folteropfer aus dem Algerien-Krieg, eine von Polizisten brutal abgeführte Demonstrantin, schwarze hohläugige Masken, die aus Atelier-Abfällen geschaffen wurden: Das Studium der Arbeiten mag den Betrachter an seine Grenzen führen.

Zonders eindringliche Zeichnungen sind mit Kohle, Bleistift und Grafit geschaffen. Extrem präzise schöpfen sie die gesamte Palette zwischen Schwarz und Weiß aus. Der Künstler verbindet hier eine große stilistische Bandbreite, die von Hyperrealismus über pointillistische Fingerzeichnung, Disgeno bis zum Cartoon reicht.

Die wandfüllende Assemblage voller Symbolik hat direkte Bezüge zum Dokumentarischen. Die Szenen aus Geschichte, Kunstgeschichte und Gegenwart in Kombination mit den anderen Wänden schaffen einen Raum aus nicht enden wollender Gewalt, verstörend, voller Kulturpessimismus und doch – in seiner Anklage – von großer Humanität.  bis 1. November, Di bis So, täglich von 11 bis 18 Uhr; Sonderöffnung während der Art Basel (12. bis 18. Juni): Mo bis So, 9 bis 19 Uhr

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