Die Historie des Badischen Bahnhofs war turbulent, insbesondere während des Dritten Reichs. Was den Menschen damals Sorge bereitete: Basel hätte von geheimen unterirdischen Gängen aus erobert werden können. Ein Gang durch die Katakomben macht die Geschichte erlebbar. Von Michael Werndorff Basel. Tausende Pendler laufen täglich durch die denkmalgeschützte Halle des 1913 fertiggestellten Badischen Bahnhofs. Der imposante Bau ist auf seiner gesamten Länge unterkellert. „Uns erwartet jetzt ein Labyrinth aus großen und kleineren Räumen, Stollen und Gängen, die einst bis zum Erlenmattareal, an die Wiese und zum Rhein führten“, kündigt Stadthistoriker Oswald Inglin an. Günter Waiz von der Deutschen Bahn schließt eine unscheinbare Tür auf. Stufe um Stufe geht es hinab in den Bauch des Bahnhofs, zurück in die Vergangenheit, als das große Gewölbe unter der Bahnhofshalle von der Basler NSDAP- Ortsgruppe als Vereinslokal genutzt wurde – getarnt und bestens verborgen vor neugierigen Blicken der Behörden. Versammlungsort für Nationalsozialisten In den Kellern trainierten bis Kriegsende auch Mitglieder der nationalsozialistischen Sportgruppe, zu der auch Basler zählten. „Früher waren alle Gänge und Keller miteinander verbunden“, erklärt Inglin, der sich seit Jahren mit der Historie des Bahnhofs beschäftigt. Das Areal sei für Deutsche wie Schweizer während des Dritten Reichs von militärischer Bedeutung gewesen, zeigt er historische Fotos. Auf diesen sind Schweizer Soldaten hinter hohen Barrikaden zu sehen. Weil der Bahnhof als trojanisches Pferd und mögliches Einfallstor nach Basel und in die Schweiz galt, wollten die Behörden das komplette Bahnareal – zugleich deutsches Hoheitsgebiet – umzäunen, und wie bereits im Ersten Weltkrieg den gesamten Verkehr unterbinden. Aufgrund der Größe nahm man Abstand vom Vorhaben und errichtete anstelle des Zauns mit Maschinengewehren gesicherte Barrikaden an der Rosentalstraße. „Die Schweizer haben die Situation ernst genommen, obwohl es klar war, dass Basel im Ernstfall kaum zu verteidigen gewesen wäre“, erklärt der Historiker. Zwar gab es Bunker und die Brücken waren mit Sprengladungen versehen, schwere Geschütze standen aber außerhalb der Stadt auf den Höhen des Juras. Im Bahnhof haben rund 600 deutsche Reichsbahnangestellte ihren Dienst versehen, die auch bei Ausbruch des Kriegs nicht eingezogen wurden. Inglin: „Das ist ein Indiz dafür, dass sie bei einer möglichen Besetzung Basels durch deutsche Truppen mithelfen sollten.“ Zahlreiche Bahnangestellte wurden zeitweise wegen angeblicher Spionage verhaftet: Der Badische Bahnhof galt nicht nur als Umschlagplatz für Waren, sondern auch für Informationen. Vor dem Bahnhof kam es damals auch ab und an zu Wortgefechten. Inglins Großvater war Zeitzeuge und berichtete von den Vorfällen: „Immer wieder kamen Deutsche in schwarzen Uniformen aus dem Bahnhof heraus und drohten den Soldaten, sie schon bald heim ins Deutsche Reich zu holen. Beide Seiten tauschten dann deftige Schimpfworte aus“, sagt Inglin. Es geht immer weiter in das Labyrinth aus staubigen Gängen und Kellern, die in großen Gewölben münden. „Als wären sie kürzlich noch in Betrieb gewesen, stehen dort die alten Öfen des Dampfheizwerks, mit denen der Bahnhof früher mit Wärme versorgt wurde“, erklärt der Basler – und streicht fasziniert über einen mit Kohle gefüllten, wandhohen Gitterkäfig, der einst die Wärme speicherte. Platz für Waffen und Soldaten So spannend die Geschichte, so alltäglich sehen die Keller aus: Der Putz bröckelt an den feuchten Wänden, hier und da ist der Untergrund sandig, weil kein Betonfundament gegossen wurde, und Rattenköder liegen aus. In den Kellerräumen hätten viele Soldaten und Waffenlager Platz gefunden, ist sich der Basler sicher, zudem wäre es möglich gewesen, diese über den Bahnweg unbemerkt heranzuschaffen. Ob die Räume tatsächlich zu diesem Zweck erbaut wurden, lasse sich nicht beweisen, hofft er auf mögliche Dokumente in der Militärabteilung des deutschen Bundesarchivs in Freiburg und im Archiv des ehemaligen Großherzogtums Badens, die vielleicht Antworten auf noch offene Fragen geben könnten. „Die Baugeschichte der Katakomben ist bisher noch unerforscht“, sieht Inglin eine zukünftige Aufgabe. Auf das Thema der Katakomben ist er im Rahmen einer Festschrift für das Basler Stadtkommando gekommen, erklärt Inglin. Es gebe nämlich nur wenige Veröffentlichungen, die sich speziell der Vergangenheit des von Karl Moser entworfenen Badischen Bahnhofs widmen. Dass die Stollen immer noch von Bedeutung sind, ergänzt Waiz: „Die Deutsche Bahn nutzt die Gänge als Versorgungstunnel“, deutet er auf schwarze Rohre. In diesen verlaufen unter anderem Fernmeldeleitungen und Signaltechnikkabel, die den Bahnhbetrieb am Laufen halten. „Die Gänge sind übrigens nicht mehr in ihrer ursprünglichen Länge erhalten“, sagt Inglin vor einem zugemauerten Durchgang stehend: Was sich dahinter verbirgt, weiß der Heimathistoriker nicht. Das Geheimnis würde Inglin aber gerne lüften.