Warum kam im Jahr 887 Karl III. mit seiner Gefolgschaft nach Kirchen, hielt dort einen Reichstag und residierte nicht in der nahen Bischofsstadt Basel" Dazu gibt es lediglich Theorien. Sicher belegt scheint hingegen, dass in Kirchen weitreichende Entscheidungen fielen. Von Marco Schopferer Der König adoptierte in Kirchen seinen potentiellen Thronnachfolger, ließ sich von seiner Frau scheiden und zahlte tonnenschweres Lösegeld an die Frankreich mal-trätierenden Wikinger, wie Museumsleiterin Dr. Maren Siegmann beim Vortrag anlässlich des Kirchener Ortsjubiläums erklärte. Als Lösegeld an die Nordmänner brachte ein bis an die Zähne bewaffneter Trupp dann auch 5000 bis 12 000 Pfund Gold und Silber – damals eine horrende Summe – im Mai 887 von Kirchen aus in Richtung Paris, um dort die Wikinger zu besänftigen. Ein Gefolge von vielleicht 4000 Menschen könnte sich in Kirchen versammelt haben. Untergebracht war es meist in Zelten, denn an fes-ten Behausungen historisch belegt ist in Kirchen nur „ein Schlafzimmer des Königs“, vielleicht gab es auch zwei, also noch für engste Familienmitglieder. Das weitere Gefolge bezog aber wohl durchaus luxuriös ausgestattete Zelte. Warum nicht in Basel" Dies war vielleicht auch ein Grund, warum vor 1128 Jahren der Reichstag nicht in Basel abgehalten wurde, sondern in Kirchen. Wo sollte man auf dem Münsterberg solch einen Tross des Königs unterbringen" Oder gab es hier einfach die weiten Wälder, die besser für die Jagd taugten, um die Gefolgschaft zu ernähren" Es müssen jedenfalls gewichtige Argumente gewesen sein, zumal damals – laut Siegmann ebenfalls historisch belegt – die Malaria im Rheintal wütete. Doch den König plagten damals noch ganz andere Sorgen. Ein Fluch schien über der Herrscherfamilie zu liegen, Thronfolger starben der Reihe nach. Bernhard, gerade mal acht Jahre alt und unehelich geboren, sollte ganz offiziell vom König adoptiert werden, um ab seinem 15. Lebensalter als König amtieren zu können. Dass diese bedeutsame Adoption in Kirchen stattfand, war für Maren Siegmann aufgrund historischer Urkunden unstrittig. Genauso sicher sei, dass sich in Kirchen der König nach 25 Jahren Ehe von seiner Gattin Richgard scheiden ließ. Das war kein einfaches Unterfangen. Schon ab 850 galt die Ehe als heiliges Sa-krament. Sie konnte nur unter ganz bestimmten Bedingungen aufgehoben werden, etwa wenn die Gattin beweisen konnte, dass die Ehe nie vollzogen wurde. Auf diese Jungfräulichkeit berief sich auch Richgard, als Beweis musste sie über glühende Pflugscharen laufen. Heilte drei Tage danach die Wunde ordentlich, galt die Aussage als wahr und von Gott geprüft, so Maren Siegmann. Bei Richgard heilten nach der Tortur die Wunden schnell, und sie wurde nicht nur von ihrem Mann geschieden, sondern später sogar von der Kirche heilig gesprochen. Wie groß war Königshof" Wie groß und welche Bedeutung der Königshof zu Kirchen in Zeiten der Karolinger hatte, ist nicht sicher belegt. Mindestens zwei bis dreimal hatte das Dorf jedoch königliche Besuche. Der Reichstag von 887 war jedenfalls das bis heute einzig belegte Ereignis mit großer Reichweite. Hier war das kleine Dorf Kirchen tatsächlich einmal für einige Tage der Nabel der europäischen Welt.