Stuttgart - Herr Wagner-Uhl, Sie führen regelmäßig Gespräche mit dem Kultusministerium und mit Landtagsabgeordneten über die neuen Gemeinschaftsschulen. Worum geht es da?
Die Gemeinschaftsschule ist ja noch ein kleines Kind. Und kleine Kinder brauchen viel Pflege der Eltern. Die Eltern sind in dem Fall die grün-rote Landesregierung, die diese Schulform auf den Weg gebracht hat. Also reden wir darüber, ob das Kind gut wächst und was man noch tun könnte. Bisher sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden.
Die anderen Schularten sehen Ihre Schulform eher als Hätschelkind, das von der Regierung beim Verteilen der Gelder klar bevorzugt wird. Gymnasialrektoren behaupten, dass ein Kind, das über eine Gemeinschaftsschule Abitur macht, das Land doppelt so viel kostet wie im Gymnasium.
Ich kann diese Behauptung nicht nachvollziehen. Wenn man sich die Stundentafeln ansieht, dann sind die Gemeinschaftsschulen sicher nicht überversorgt. Im Übrigen bieten wir aus pädagogischen Gründen an mindestens drei oder vier Tagen die Woche einen Ganztagsbetrieb an. Das braucht Ressourcen, die aber extrem sinnvoll eingesetzt sind.
Die meisten Gemeinschaftsschulen sind bislang aus Hauptschulen hervorgegangen, keine einzige aus einem Gymnasium. Sind die Gemeinschaftsschulen bessere Hauptschulen?
Nein, wobei die Hauptschulen sehr gute Arbeit leisten. Wir bieten an den Gemeinschaftsschulen alle Bildungsinhalte und alle Abschlüsse an. Unsere Lehrer, die übrigens aus allen Schulformen kommen, schauen sich auch die Bildungspläne aller Schularten an und unterrichten die Kinder dann je nach Leistungsstärke anforderungsgerecht.
Aber gute Schüler wollen aufs Gymnasium.
Das stimmt nicht. Wir haben Schüler an den Gemeinschaftsschulen, die alle bisherigen Schulformen auch besuchen könnten, sich aber mit ihren Eltern bewusst für die Gemeinschaftsschule entscheiden. Die Eltern sehen und honorieren, was wir leisten.
Was leisten Sie denn? Kritiker vermuten bei Ihnen vor allem Kuschelpädagogik.
Was wir tun, hat nichts mit Kuscheln zu tun. Gemeinschaftsschulen sind hoch leistungsorientiert. Bei uns wird nicht herumgelungert oder herumgespielt. Wir betreiben auch Schule nicht aus dem Bauch heraus, sondern schauen uns ganz genau an, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es gibt.
Worüber?
Darüber, wie guter Unterricht und erfolgreiches Lernen aussehen sollten. Und daran orientieren wir uns.
Aber erfolgreiches Lernen, das behauptet zumindest der Verband der Gymnasiallehrer, funktioniert am besten in möglichst homogenen Lerngruppen. Sie hingegen mischen bewusst schwächere und stärkere Schüler. Sie könnten ja Wechsel zwischen den einzelnen, dann verschieden starken Klassen erleichtern.
Wo gibt es homogene Lerngruppen? Eine Einteilung in leistungsgleiche Gruppen ist unmöglich. Es geht also immer und eigentlich überall darum, vielfältige Lernangebote zu machen. Erfolgreiches Lernen funktioniert unter anderem aber auch dann gut, wenn Schüler und Lehrer eine gute Beziehung zueinander haben. Das ist eine wichtige Erkenntnis der Unterrichtsforschung. Und wenn man eine solche Beziehung mal geknüpft hat, sollte man sie nicht ständig durch das Formen neuer Lerngruppen unterbrechen. In den Gemeinschaftsschulen haben die Schüler jeden Tag die Möglichkeit, ihre Leistung zu steigern. Und dazu müssen sie nicht die Klasse oder gar die Schule wechseln.
Und wie funktioniert ein solcher Unterricht?
Indem wir zum Beispiel Aufgaben auf verschiedenen Niveaustufen anbieten. Je nach Fach oder Thema arbeitet jedes Kind dann auf einem anderen Niveau, teilweise auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder an anderen Themenbereichen.
Die stärkeren Schüler sollen bei Ihnen den schwächeren helfen. Aber das geht doch auf Kosten der stärkeren.
Eben nicht. Wir haben klare Regeln für die gegenseitige Hilfe, so dass niemand überfordert wird. So funktionieren gute Teams. Die Leistungsstarken können dadurch ihr Wissen vertiefen, so dass es am Ende richtig sitzt. Die Leistungsschwächeren profitieren ebenso.
Aber wenn der Lehrer stets warten muss, bis auch die schwächsten Schüler die Dinge begreifen, kommt er mit dem Stoff nicht durch.
Niemand muss bei uns warten. Die Kinder lernen zwar unterschiedlich schnell, aber es geht bei uns stetig voran. Im Übrigen kann es ja auch nicht darum gehen, Lernstoff in sich reinzufressen, ihn dann wieder auszuspucken und zu vergessen. Ziel muss doch sein, das Wissen so zu verankern, dass man hinterher auch was damit anfangen kann.
Sie scheinen überzeugt davon, dass sich die Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg als Schulform durchsetzen werden. Wenn aber die meisten Schüler bei den ersten Abschlussprüfungen im Jahr 2018 durchrasseln, dann haben Sie ein Problem.
Das wird mit Sicherheit nicht passieren. Wir werden gute Ergebnisse vorweisen können, das sehen wir jetzt schon. Die Kinder kommen gut voran und besuchen mit großer Freude und Zufriedenheit unsere Schulen. Auch die Elternrückmeldungen sind sehr positiv.
Warum hat dann die Gesamtschule in Baden-Württemberg so einen schlechten Ruf? In den Pisa-Tests hat diese Schulform ja bislang relativ schlecht abgeschnitten.
Es gibt in Deutschland inzwischen hervorragende Gesamtschulen auf höchstem Leistungsniveau. Viele Träger des Deutschen Schulpreises sind Gesamtschulen. Das liegt aber auch daran, dass es diese Schulen geschafft haben, die entsprechende Schülerklientel zu rekrutieren und hervorragenden Unterricht zu machen. In der Zusammensetzung der Schülerschaft waren die Gesamtschulen in der Vergangenheit eher benachteiligt. Von der Entstehungsgeschichte her war die Gesamtschule sozusagen die Restschule, die große Schule, die häufig außerhalb der Zentren oder in sozialen Brennpunkten angesiedelt wurde. Da ist es dann schwierig, rein von den Ergebnissen her mit anderen Schulformen mitzuhalten.
Und jetzt ist die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg die privilegierte Schulform, auf die Verbandsvertreter von Realschulen und Gymnasien mit einer Mischung aus Neid und Skepsis schauen. Gibt es Zusammenarbeit mit diesen Schulformen vor Ort?
Aber ja. Ich weiß, dass sich viele Pädagogen der anderen Schulformen inzwischen für unsere Arbeit interessieren, weil sie erkannt haben, dass es heutzutage andere Zugänge braucht, um erfolgreichen Unterricht zu machen. Die Klassen sind ja auch in den anderen Schulformen immer heterogener geworden, und zwar schon vor Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Über das Interesse hinaus kooperieren eine ganze Anzahl von Gemeinschaftsschulen bereits nach so kurzer Zeit mit Gymnasien.
Für Sie ist die Gemeinschaftsschule also die Schulform der Zukunft.
Mir wäre am liebsten, wir würden gar nicht mehr über Schulformen reden, sondern nur noch über gute Schule und guten Unterricht. Wenn alle Schulen alle Abschlüsse anbieten würden, dann hätten wir lauter Schulen, die dem Konzept der Gemeinschaftsschulen sehr ähnlich wären. Die Anforderung der regionalen Erreichbarkeit aller Schulabschlüsse wäre damit auch gelöst. Dies wäre aus meiner Sicht der Idealzustand.