Gmünder OB Arnold Ein Mann macht Politik mit Emotionen

Jan Sellner
Richard Arnold hat Schwäbisch Gmünd umgekrempelt Foto: Leif Piechowski

Mit einer Politik, die den Bürger in den Mittelpunkt stellt, hat Richard Arnold im Kleinen viel bewegt. So viel, dass man sich fragt, was der Gmünder Rathauschef darüber hinaus bewegen will.

Mit einer Politik, die den Bürger in den Mittelpunkt stellt, hat Richard Arnold im Kleinen viel bewegt. So viel, dass man sich fragt, was der Gmünder Rathauschef darüber hinaus bewegen will.

Stuttgart - „Politik hat viel mit Gefühl zu tun. Mit Emotionalität!“ Hallo, was sind denn das für Töne? Richard Arnold, Oberbürgermeister der 60 000-Einwohner-Stadt Schwäbisch Gmünd, sitzt keine zwei Minuten am Tisch, da ist den Redakteuren der Stuttgarter Nachrichten klar: Dieser Gast fällt aus dem Rahmen. Er ist anders. Tatsächlich verkörpert Arnold einen Typus Politiker, der selten ist – jemanden, der Politik als emotionale Angelegenheit betrachtet. „Man muss das Feuer, die Begeisterung in den Menschen entfachen“, sagt der 55-Jährige und strahlt.

Feuer, Begeisterung – das sind nicht unbedingt die Kategorien, die man mit einem studierten Verwaltungswissenschaftler in Verbindung bringt. Arnold ist jedoch davon überzeugt, dass Emotionen in der Politik ihre Berechtigung haben, weil es Initialzündungen brauche, um Dinge zu bewegen. „Bei uns gibt es die Zeiteinheit ,Gmündel‘“, erzählt er. Ein Ausdruck dafür, dass die Zeit stillsteht. Ein Jahr in Gmünd waren wie fünf Jahre anderswo. Seit Arnold 2009 zum Oberbürgermeister gewählt wurde, hat sich die Sache umgekehrt: In einem Jahr passiert jetzt so viel wie andernorts in fünf. Das „Arnoldel“ hat das „Gmündel“ abgelöst.

Wer das für eine Übertreibung hält, der sehe sich die Stadt an der Rems an, die im Zuge der Landesgartenschau ein neues, fröhliches Gesicht erhalten hat. Um Blumen geht es nur am Rande, die eigentliche Veränderung liegt darin, dass die Stadt als Ganzes aufblüht und die Bürger daran Anteil nehmen. Arnold hält das Feuer am Lodern. Zufrieden stellt er fest: „Die Bürger haben sich neu in ihre Stadt verliebt.“

Charakteristischer ist seine Grundhaltung, „die Stadt von den Bürgern her zu denken“. Arnold praktiziert Bürgerbeteiligung jenseits technokratischer Verfahren, die seiner Meinung nach eher lähmend wirken. „Bürgerbeteiligung heißt, dass die Bürger etwas zu ihrer Sache machen“, sagt er. Von den Olympischen Spielen in London hat Arnold die Idee der ‚volunteers‘ abgeschaut. Heute kann er stolz verkünden, dass mehr als 1300 Gmünder, darunter 90 Flüchtlinge, je 50 Stunden ehrenamtlich für die Landesgartenschau arbeiten – ohne dass sie freien Eintritt hätten. Denn natürlich muss sich die Landesgartenschau – da ist Arnold ganz Schwabe – auch rechnen.

Typisch ist, wie Arnold sein Amt definiert und buchstabiert: „Ich bin nicht Obergemeinderatsmeister oder Oberverwaltungsmeister, sondern der Ober-Bürger-Meister.“ Eine Sichtweise, mit der die Gmünder Verwaltung anfangs ihre Schwierigkeiten hatte. Inzwischen, sagt Arnold, stehe stets der Bürger im Mittelpunkt.

Der Bürger – darum dreht sich bei ihm alles. Der „Ober-Bürger-Meister“ aus Schwäbisch Gmünd gibt sich als Republikaner reinsten Wassers zu erkennen. Dieser Zusatz ist wichtig, seit Rechtsradikale diesen Begriff usurpiert haben. Arnold belebt den aus der politischen Theorie bekannten Begriff auf sehr praktische Weise neu. Eine Stadt ist für ihn weit mehr als ein Wohn- und Schlafort oder eine Verwaltungseinheit. Arnold hält das Ideal des bonum commune hoch, des Gemeinwohls. Er will weg von der „verwalteten Stadt zur gelebten Stadt“. Ein Paradebeispiel war die Aufführung der Staufer-Saga zum 850. Stadtjubiläum vor zwei Jahren. Ein Riesenspektakel mit fast 2000 Gmünder Laien. Oder jetzt die Landesgartenschau, eine Form der Selbstvergewisserung der ehemaligen, katholisch geprägten Reichsstadt.

Sieht er in der Politik der Emotionen ein allgemeines Rezept gegen Trägheit? Arnold bremst. Im evangelischen Göppingen, meint er, wäre das schwieriger. Die „Vision Stadtgemeinschaft“ hält er gleichwohl für übertragbar. Immer schon spähte er über die vielen Kirchtürme seiner Heimatstadt hinaus. Beim Blick in Richtung Westen sieht er eine „gespaltene Stadt“ – Stuttgart. „Das tut mir weh.“ Gäste aus Stuttgart erzählten ihm häufig, sie sehnten sich nach Gemeinschaft. Ein Großereignis wie der Evangelische Kirchentag 2015 könne nicht kitten, was kaputtgegangen ist. Denn: „Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 hat viel verbrannte Erde hinterlassen.“ Und noch immer fließt die Energie der Bürger in alte Konfliktlinien statt in neue Bahnen.

Dennoch sieht Arnold erfolgversprechende Ansätze: „Die Stuttgarter identifizieren sich mit ihrer Stadt.“ Dieses Bedürfnis müsse man bedienen: „Der Fernsehturm wäre die Chance gewesen, in Stuttgart wieder ein Stück Gemeinschaft herzustellen“, sagt er. Gemeinsam mit seinem Schorndorfer Amtskollegen Michael Klopfer hatte er dem Büro von Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn eine Kampagne vorgeschlagen: „Feuer und Flamme für den Fernsehturm“. Ziel war es, eine Teilnutzung des Stuttgarter Wahrzeichens zu ermöglichen. An eine Antwort kann Arnold sich nicht erinnern.

In seinem Elan ist der Gast am Redaktionstisch kaum zu bremsen. Ein ständiger Ideenlieferant, der zugleich zur Tat drängt. Am deutlichsten wird das beim Thema Asyl und Flüchtlinge. Auf freiwilliger Basis hatte Arnold Asylbewerber am Bahnhof als Kofferträger beschäftigt. „So eine Freude hat dort schon lange nicht mehr geherrscht.“ Die Flüchtlinge trugen Namensschilder mit Gmünder Stadtwappen: „Einige hatten Tränen in den Augen, weil sie zum ersten Mal nicht mehr als Nummern, sondern als Menschen geführt wurden.“ Nach einem Tag beendete die Deutsche Bahn von der Zentrale in Berlin aus die Aktion; man fürchtete einen Imageschaden. Für Arnold ist das symptomatisch: „Diejenigen, die am weitesten entfernt sind, treffen die Entscheidungen.“ Die Distanz zur Wirklichkeit und zu den Menschen – darin sieht der Gmünder Rathauschef ein generelles Problem. Gerade beim Thema Asyl. Arnold kennt viele der 274 Asylbewerber, die in Gmünd in Erstaufnahme leben, persönlich. Die Stadt organisiert Sprachkurse, bindet sie ins öffentliche Leben ein. Als einer der Flüchtlinge kürzlich in den ARD-„Tagesthemen“ auftauchte, entfuhr es Arnold: „Da ist ja der Charles!“

Aktiv werden, gestalten – diesen Ansatz empfiehlt der Gmünder Oberbürgermeister auch in der Asylpolitik. „So wie es jetzt ist, kann es unmöglich bleiben“, sagt er und erwähnt das Beispiel nigerianischer Botschaftsbesetzer in Berlin – einer „Rabatz-Truppe“ –, die daraufhin prompt eine Aufenthaltserlaubnis erhielten. Andere Flüchtlinge hingegen, die stillen und arbeitswilligen, würden weggeschickt. Aus Arnolds Sicht ist das widersinnig: „Uns fehlen Fachkräfte in der Pflege und im Handwerk. Aus eigener Kraft können wir das nicht stemmen. Wir müssen uns um fähige Einwanderer bemühen.“ Den katholischen Bischof Gebhard Fürst nennt er in der Flüchtlingsfrage „seinen Verbündeten“. „Und die Frauen“. Sie spürten genau, dass die Dinge nicht in Ordnung seien. Dazu passt, dass ihn die CDU-Frauen Nord-Württemberg jüngst eingeladen haben, um über die Asylthematik zu sprechen.

Wurde schon erwähnt, dass Arnold in der CDU ist? Die Partei ist unverändert eine Macht. Mit Persönlichkeiten an der Spitze ist sie allerdings nicht verwöhnt. Reizt es ihn, den Fachmann für Begeisterung und Mobilisierung, da nicht, an vorderer Stelle mitzumischen? „Mich regt schon auf, dass vieles nicht gut läuft“, sagt er knapp und schiebt sogleich nach: „Ich lege mich aber nicht abends ins Bett und denke darüber nach, welches Amt ich bekleiden könnte.“

So viel lässt er sich schließlich doch entlocken: „Ich will den Kurs mitbestimmen.“ Und: „Ich verschließe mich grundsätzlich nichts.“ Arnold spricht ausnahmsweise emotionsfrei. Trotzdem klingt’s spannend.

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