Von Jürgen Scharf Grenzach-Wyhlen. Wenn ein "Haufen Kies" auf einen "Haufen Klassik" trifft, kann es sich nur um "Klassikanderswo" handeln. (Über die spezielle Atmosphäre im Kieswerk Wyhlen haben wir gestern berichtet). Es ist mehr als ein Konzert: ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Videosequenzen, Ausstellung mit Skulptur, Malerei und Architekturfotografie, eine Symbiose aus Technik, Kunst und Natur. In der zum Konzertsaal umfunktionierten Fabrikhalle des Kieswerks Holcim herrscht eine erstaunlich gute Akustik, ein direkt anspringender Klang. In dieser ungewöhnlichen "Location" tritt das Orchester Linie 38 auf, das Spitzenkräfte aus der historisch informierten Szene vereint: Musiker aus dem Kammerorchester Basel, die teils sogar in Grenzach-Wyhlen wohnen, und aus dem La Cetra Barockorchester, darunter auffallend viele junge Musiker. Ein wahres Fest der Barockmusik auf Darmsaiten und Barockbögen ereignet sich. Isabelle Schnöller, Soloflötistin des Kammerorchesters Basel, spielt die Badinerie von Bach auf ihrer Traversflöte atemberaubend virtuos und perfekt in Tongebung und Artikulation trotz des schnellen Tempos. Und wenn der israelische Blockflötist Shai Kribus in unglaublicher Perfektion die Töne bildet, wird Vivaldis "La Notte" zum Barockhit. Bei Albinoni greift derselbe Solist auch noch zur Barockoboe und in seinem Satz aus dem Doppelkonzert von Telemann herrscht zwischen Blockflöte und Traversflöte beste Harmonie. Als wäre das nicht schon barocke musikalische Lustbarkeit genug, wird in einem Satz aus dem Froschkonzert von Telemann das Liebesspiel der Frösche lautmalerisch akustisch " und visuell " imitiert. Klangschöne Musik auch im zweiten Teil des von Helmut Bauckner charmant moderierten Abends. Zu Respighis liebevoll interpretierten "Antiche Danze ed Arie" zeigt der Fotodesigner Thomas Dix in einer Diashow Impressionen des Kieswerks. Camille Saint-Saens "Schwan" aus dem "Karneval der Tiere" wird mit großer Hingabe und Emphase vom künstlerischen Leiter Georg Dettweiler aus dem Cello geholt, delikat begleitet und illustriert vom historischen Filmstreifen einer Primaballerina, die den sterbenden Schwan tanzt. In ein Caféhaus nach Budapest fühlt sich das Publikum versetzt, wenn der ungarische Geiger Tamás Vásárhelyi in Montis Csárdás in die Welt der Zigeunerprimas und Stehgeiger entführt. Mit Spannung erwartet wurde die Uraufführung des "Tango consolationis" für Streichorchester des in Wyhlen lebenden Komponisten Willi Vogl, ein sehr komplexes, kontrapunktisch angelegtes Werk. Ein dichtes Geflecht von Rhythmik und Harmonik liegt über dem bekannten Choral "Wer nur den lieben Gott lässt walten", der immer wieder in anderer Gestalt und Tonart auftaucht " eine Hommage an den Tango Nuevo eines Astor Piazzolla sowie den aus Argentinien, dem Land des Tangos, stammenden Papst Franziskus.