Handwerker Kuhhandel mit der Meisterpflicht

Sabine Marquard
In den meisten der Handwerkerberufe gilt: Wer einen eigenen Betrieb gründen möchte, braucht den Meisterbrief als Voraussetzung. Foto: dpa

Die EU-Kommission fühlt Deutschland auf den Zahn: Warum ist in Teilen des Handwerks immer noch der Meisterbrief erforderlich, um sich selbstständig zu machen? Vertreter des Handwerks fürchten, dass die Meisterpflicht einem Kuhhandel geopfert wird.

Die EU-Kommission fühlt Deutschland auf den Zahn: Warum ist in Teilen des Handwerks immer noch der Meisterbrief erforderlich, um sich selbstständig zu machen? Vertreter des Handwerks fürchten, dass die Meisterpflicht einem Kuhhandel geopfert wird.

Stuttgart - Beim Thema Meisterpflicht schlagen die Wellen hoch. So sehr, dass Brüssel sich kürzlich genötigt sah klarzustellen: Die EU-Kommission will den Meisterbrief nicht abschaffen. Beruhigen dürfte das viele Handwerksverbände kaum. Denn schließlich rückt die Kommission nicht von ihrem Vorhaben ab. Sie will den Wettbewerb im Dienstleistungssektor beleben, um Wachstum zu fördern. Der Vorstoß der Kommission zielt ausdrücklich auf bestimmte Handwerksberufe, insbesondere im Baugewerbe. Deutschland soll prüfen, ob der Meisterbrief erforderlich ist, um einen Handwerksbetrieb zu führen, fordert sie.

Soll heißen: Der Meisterbrief als besondere Qualifikation kann bestehen bleiben. Doch ob er weiterhin Voraussetzung ist, um einen Betrieb zu gründen, ist offen.

Den Handwerkskammern und -verbänden schwant Schlimmes. „Bis zu 70 000 Ausbildungsplätze pro Jahr könnten verloren gehen“, sollte die EU-Initiative erfolgreich sein, warnt die Handwerkskammer Region Stuttgart.

Hintergrund dieser Szenarien ist die Handwerksnovelle, die vor gut zehn Jahren die damalige rot-grüne Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. An deren Ende fiel der Meisterzwang in zahlreichen Handwerksberufen weg. Seither wird unterschieden in Gewerke mit und ohne Meisterpflicht. Kriterium für die Pflicht ist, ob von der Ausübung des Handwerks eine Gefahr für Dritte ausgeht oder ob in einem Handwerk viel ausgebildet wird. Doch die Grenzen sind schwammig. So benötigt ein Koch keinen Meisterbrief, um sich selbstständig zu machen, ein Bäcker aber sehr wohl.

Wenn Dieter Diener, Geschäftsführer der Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden-Württemberg, vor den Folgen des Wegfalls des Meisterzwangs spricht, bezieht er sich gern auf die Entwicklung im Fliesenlegerhandwerk, wo seit 2004 kein Meisterzwang mehr besteht. Seither habe sich in Baden-Württemberg die Zahl der Betriebe im Fliesenlegerhandwerk um das 3,5-Fache vergrößert – doch von den Gründern hätten nur noch zwei bis drei Prozent einen Meisterbrief, die Zahl der Auszubildenden stagniere. In vielen meisterfreien Handwerksberufen zeige sich: Sinke die Zahl der Meisterprüfungen, gehe auch die Qualifikation verloren, Leute auszubilden, warnt Diener.

Fehlende fachliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind nach Ansicht der Bauwirtschaft auch der Grund, weshalb viele meisterfreie Betriebe rasch wieder von der Bildfläche verschwinden. „Fliesen buchstabieren zu können reicht nicht aus, um erfolgreich einen Betrieb zu führen“, sagt Diener.

Bei den Fliesenlegern scheiden rund 15 Prozent der Betriebe innerhalb eines Jahres aus, die meisten, weil sie ihr Geschäft wieder aufgeben oder insolvent sind. Vor zehn Jahren lag diese Zahl bei fünf Prozent – so viel wie heute in den Handwerksberufen, in denen immer noch der Meisterbrief Voraussetzung für eine Betriebsgründung ist.

Im Schadensfall haben die Verbraucher das Nachsehen. „Wenn der Betrieb nicht mehr existiert, laufen die Schadenersatzansprüche ins Leere“, sagt Diener und verweist auf das hohe Gefährdungspotenzial im Bauhauptgewerbe. „Wenn wegen fehlender Qualifikation ein Haus einstürzt, kann das schlimme Konsequenzen für Leib und Leben der Bewohner haben.“ Vor diesem Hintergrund erweise die EU-Kommission Verbrauchern mit der Abschaffung des Meisterbriefs einen „Bärendienst“.

Aus seiner Sicht gilt es, den Vorstoß aus Brüssel abzuwehren: „Wir befürchten, dass wir aufgrund einer EU-Initiative Zustände wie im Fliesenlegerhandwerk bekommen.“

Doch nicht alle Handwerker stimmen ihm zu. Der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH) kämpft seit 20 Jahren für die Gewerbefreiheit im Handwerk. „Die duale Ausbildung fällt nicht mit dem Zwang zum Meister“ , sagt BUH-Vorstand Oliver Steinkamp. Die duale Ausbildung gebe es in Handel, Industrie, bei den freien Berufen, in der Verwaltung und in der Landwirtschaft – ohne Meisterzwang. „Warum sollte ausgerechnet das Handwerk aufhören, dual auszubilden, wenn meisterfreies Arbeiten erlaubt würde?“, fragt Steinkamp. Nicht nur im Fliesenlegerhandwerk gebe es rückläufige Ausbildungszahlen, sondern im Handwerk insgesamt.

Eine Statistik des Zentralverbands des deutschen Handwerks bestätigt das. Allerdings ist der Rückgang in den meisterfreien Berufen etwas stärker als in den meisterpflichtigen Berufen. Danach sank die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Handwerk mit Meisterpflicht von Ende 2003 bis Ende 2011 um 18,4 Prozent, in den meisterfreien Berufen um 21,4 Prozent.

Aus Sicht der Kritiker geht es bei der Verteidigung der Meisterpflicht nicht um Qualität im Handwerk, sondern um Marktabschottung. Ein Meisterbrief im Kfz-Bereich aus dem Jahr 1985 – als im Auto wesentlich weniger Elektronik war – garantiere nicht, dass jemand heute immer noch top sei, argumentiert Steinkamp. Es sei zudem eine Wettbewerbsverzerrung, wenn ein selbstständiger Handwerker aus einem EU-Mitgliedstaat, in dem es keine Meisterpflicht gibt, hier in Deutschland eine Niederlassung eröffnen kann, ein deutscher Handwerker ohne Meisterbrief jedoch nicht, wenn in seinem Bereich der Meisterzwang gilt.

Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid wirbt in Brüssel für das deutsche Meistersystem. „Die Beibehaltung der Meisterpflicht ist notwendig, um die Qualität unserer dualen Ausbildung und die Qualität von Handwerksleistungen zu gewährleisten“, sagt der Minister. Als Erfolg verbucht Schmid, dass die Kommission das deutsche duale Ausbildungssystem als vorbildlich für Europa anerkannt habe. Der Meisterbrief gehört für ihn „zwingend dazu“. Die Verfechter des Meisterbriefs hören das gern. Doch eine gewisse Skepsis bleibt. „Unsere größte Sorge ist, dass die Meisterpflicht in der Bauwirtschaft im Rahmen eines Kompensationsgeschäfts auf europäischer Ebene unter die Räder gerät“, sagt Diener. „Solche Kompensationsgeschäfte gibt es in der Politik häufig.“

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