Hausen im Wiesental Durchleuchtet bis aufs Wortskelett

Markgräfler Tagblatt
Blick in die Seminarrunde unter Leitung von Markus Manfred Jung zum Auftakt der Reihe „Hebel lesen“ im Hebelhaus in Hausen. Foto: Jürgen Scharf Foto: Markgräfler Tagblatt

Hebel lesen: Seminar mit Markus Manfred Jung über „Die Vergänglichkeit“ lockte vielseitig Interessierte an

„Hebel lesen“ ist ein neues Veranstaltungsformat des Lörracher Hebelbundes in Kooperation mit dem Hebelhaus in Hausen. Die Feuertaufe hat das Experiment bei einem Hebel-Seminar mit dem Dichter Markus Manfred Jung am Samstag glänzend bestanden, so dass einer Fortsetzung dieser literarischen Reihe mit Interpretationsanleitungen nichts im Wege steht.

Von Jürgen Scharf

Hausen. Hinter dieser neuen Reihe steckt der Gedanke, dass man nicht nur ein paar Verse von Hebel kennen sollte und abrufbar hat, sondern tiefer in die Materie geht. Was böte sich da besser als das große dramatische Gedicht „Die Vergänglichkeit“, ein Minidrama in fünf Akten?

Es ist die Erinnerungsarbeit des über 40-jährigen Hebel, der den frühen Tod der Mutter, den er auf einer Fahrt von Basel nach Hausen miterleben musste, in literarischer Art aufarbeitet. Hebel lässt zwei Personen sprechen: einen älteren Mann, den Ätti, und den „Bueb“, wohl Vater und Sohn. Aber es wird auch als Selbstgespräch Hebels gedeutet.

Jedenfalls ist es eine der großen Geschichten der Weltliteratur. Darauf wies eingangs Volker Habermaier, Präsident des Hebelbundes, hin. Hebels Text sollte eingehend befragt werden, handelt doch die „Vergänglichkeit“ „vom Sein und Vergehen des Menschen, des Einzelnen wie der Gesellschaft“.

Man konnte davon ausgehen, dass das gute Dutzend an Seminarteilnehmern das Gedicht kannte, einzelne Verse daraus oder ganze Strophen sogar auswendig. Aber so durchleuchtet, bis aufs Wortskelett geröntgt, hat man das Gedicht sicher noch nicht gelesen.

In der Teilnehmerrunde waren auch Leute vom Fach, Dichterinnen und Autorinnen wie Ulrike Ebert, Carola Horstmann und Heidi Zöllner von der Muettersproch-Gsellschaft Wiesental, die selber Gedichte und Geschichten veröffentlicht haben. Dann war eine Pfarrerin dabei, die durch eine Verszeile auf Hebel aufmerksam wurde, Schweizer Gäste aus Riehen und Basel, denen die alemannische Mundart am Herzen liegt, aber auch Hebel, denn „Hebel ist auch ein Stück von Basel“, meinte eine Zuhörerin.

Gedicht als Einstiegsdroge

Und da war natürlich auch Martin Bühler dabei, der Hausener Bürgermeister und Stiftungspräsident des Hebelhauses, der schon lange „mit Literatur und Kultur unterwegs“ ist und Schatzmeister der Organisation „Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten“, kurz: ALG, ist, die das Seminar unterstützte.

Die Altersspanne der Teilnehmer reichte von Jüngeren bis zu einem fast 80-jährigen Schweizer, der mit Hebels Gedichten aufgewachsen ist und den die alemannisch-poetische Sprache nicht mehr losgelassen hat. Ein anderer Seminarist ist vor 34 Jahren aus dem Schwäbischen gekommen und hat hier Hebel kennen, schätzen und lieben gelernt. Ein Teilnehmer aus Zell erinnerte sich, wie er früher Hebel am Hebeltag gefeiert hat, und ein Tischnachbar aus dem Hotzenwald nannte Hebels „Die Wiese“ mit den Glattacker-Bildern als seine „Einstiegsdroge“.

Ein teilnehmender Journalist von der Schwäbischen Alb bekannte, keinen Ton Alemannisch reden zu können („Lesen ja, aber nicht sprechen“). Andere Teilnehmer meinten, dass Hebel zwar nicht mehr so oft gelesen werde, er ihnen aber ans Herz gewachsen sei und sich mit ihm Kindheitserinnerungen verbinden würden.

Ein Rentner sagte, dass sich Hebel bei ihm im Bücherregal gestapelt und er jetzt endlich mehr Zeit zum Lesen habe. Nach Inge Hemberger, selber sehr rege als Vizepräsidentin im Hebelbund, liegt es an den Lehrern, ob man an Hebel hänge oder nicht. Volker Habermaier, der die literarischen Begegnungen des Hebelbundes vorantreibt und den vor 25 Jahren „das Schicksal hierher geschickt“ hat, schätzt Hebel als Pädagogen und Aufklärer. Hebel sei ein „ganz toller Typ“.

Nach diesem erfrischenden Einstand wurde das im deutschen Blankvers gehaltene Gedicht von Jung (Ätti) und Heidi Zöllner (Bueb) vorgetragen. Damit man hört, wie dieser alemannische Sprachklang tönt.

„Ein ganz toller Typ“

Jeder in der Runde konnte etwas sagen, was ihn an dem Gedicht wundert, auffällt und was er darüber denkt.

Jung lieferte dazu die Hintergründe, die Geschichte, die literarischen Bezüge und religionsphilosophische Hinweise. Jung war der Richtige dafür, ging er doch als Sohn des beliebten Heimatdichters und Hebelpreisträgers Gerhard Jung aufs Hebelgymnasium.

Seit der Schulzeit habe ihn Hebel nicht mehr losgelassen, und er schrieb seine Zulassungsarbeit als Lehrer über die „Vergänglichkeit“.

Nach drei Stunden rauchten die Köpfe, unterbrochen von einer kurzen Kaffeepause. Man war in die 123 Verse eingestiegen, hat das „Gespräch auf der Straße nach Basel, zwischen Steinen und Brombach, in der Nacht“ bis ins Wortdetail durchgenommen, die Vergänglichkeits-Vision, den Gespensterglauben, den „wilden Jäger“ für Todesmetapher, den Weltenbrand, die schlimmste Apokalypse und den Weg ins Jenseits, die ganzen „Wahnsinnsbilder“ (M.M.Jung) auf sich wirken lassen und Hebel als Zweifler erlebt.

Hebel „lässt vieles offen“, wie der Seminarleiter abschließend feststellte. Was bleibt übrig? Die Ewigkeit, der christliche Ausweg.

Als nächstes Seminarthema könnte man sich die Geschichten „Unverhofftes Wiedersehen“ und „Kannitverstan“ vorstellen.

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