Im Kino: „Love“ Die Liebe verbrennt sie

Bernd Haasis
Szene aus Foto: Alamode

Der Filmemacher Gaspar Noé macht den Zuschauer zum Voyeur und versucht sich in dem Film „Love“ ain einer explizit pornografischen Bestandsaufnahme einer Amour fou.

Stuttgart - Die Französin Elektra und der Amerikaner Murphy können gar nicht voneinander lassen. Sie versinken förmlich in einem erotischen Rausch, verbringen viel Zeit im Bett, sind unzertrennlich. Dann setzen sie noch einen Reiz, probieren einen Dreier mit der neuen Nachbarin Omi. Von dieser aber kann Murphy dann später nicht die Finger lassen, als Elektra aus dem Haus ist – was diese völlig aus der Fassung bringt, als sie davon erfährt.

Die Gefühle bleiben überlebensgroß, doch die Zuneigung schlägt nun um in wilden Furor, in blanken Hass. Elektra und Murphy können nicht ohne einander, nun aber auch nicht mehr miteinander so schmerzhaft kann die Liebe sein, und Regisseur Gaspar Noé lässt die Zuschauer gehörig mitleiden.

Eine Liebe vom Ende her erzählt

Der gebürtige Argentinier macht vieles richtig, pflegt aber auch einmal mehr seinen Ruf als Skandal-Regisseur; in „Menschenfeind“ (1998) hat er die Gedankenwelt eines Mörders und eines Selbstmörders verstörend bebildert, in „Irreversibel“ (2002) eine brutale Vergewaltigung und fehlgeleitete Blutrache.

In „Irreversibel“ hat Noé zudem vom Ende her erzählt, und das tut er in „Love“ erneut. Murphy ist mit Omi zusammen, sie haben ein Baby und keinerlei Liebe füreinander. Er macht sich Sorgen um Elektra, die Drogenepisoden hatte und nun schon länger von der Bildfläche verschwunden ist.

Virtuos gestaltet Noé die immer größer werdenden Zeitsprünge aus der tristen Erzählgegenwart bis zu jenem zarten Moment, in dem Elektra und Murphy einander zum ersten Mal begegnen, und er montiert die Stadien ihrer Zweisamkeit zu intensiv verdichteten Episoden.

Die Liebe wird zur alles verzehrenden Hölle

Seine bis dahin unbekannten Hauptdarsteller geben, was sie zu geben haben: Aomi Muyock, Franko-Schweizerin mit chinesischer Großmutter, macht die ausschweifende Elektra nicht einfach zur Femme fatale, sondern gibt ihr Anmut und Willensstärke, der US-Amerikaner Karl Glusman versieht Murphy mit einer kippligen Balance aus sensibler Sanftheit und cholerischem Naturell. Zusammen wirken sie absolut glaubhaft als Bohemien-Paar, das alles in sich aufsaugen möchte, was das Leben an Spitzen zu bieten hat – und dem die eigene Liebe zur alles verzehrenden Hölle wird.

Allerdings bringt Noé sich und seine Mitstreiter selbst ein stückweit um den verdienten Lohn für den Einsatz. Er konnte wohl nicht anders, als einmal mehr das Enfant terrible zu spielen und einen Teil seiner Kunst auf dem Altar der Provokation zu opfern.

Bei der ersten ausufernden, explizit pornografischen Sexszene mag man noch an ein Stilmittel glauben, daran, dass das intensive Lieben der Protagonisten physisch spürbar erlebt werden soll im Kinosaal. Die zweite geht noch als Unterstreichung durch, mit jeder weiteren aber passiert, was immer passiert, wenn Künstler übertreiben: Die Wirkung schlägt ins Gegenteil um.

Auf zwei Menschen konzentrierte Grenzerfahrung

Bei der dritten Sexszene kehrt Teilnahmslosigkeit ein, bei der vierten der Gedanke an sinnlos verstreichende Lebenszeit, schließlich Überdruss: Glaubt der Filmemacher, seine Zuschauer wären schwer von Begriff, dass er ihnen den blanken Sex derart in die Augen reiben muss – bis hin zu einer Ejakulation frontal in die Kamera?

Noé hält zunehmend voyeuristisch auf diese fiebrige Amour fou, die er so wunderbar feinsinnig angelegt hat, bis sie klebrig wird, bis ihre Faszination verpufft. Auch trägt eine so eine reduzierte, auf zwei Personen konzentrierte menschliche Grenzerfahrung kaum über 135 Minuten Laufzeit, wenn um die Protagonisten herum nicht viel geschieht. Der stringente 90-Minüter, der in diesem Film gesteckt hätte, ist deutlich zu erkennen. Beim Festival in Cannes sorgte „Love“ zwar für ein wenig Aufregung, fiel letztlich aber durch – auch in Frankreich, das der Liebe ja besonders zugetan ist.

Es bleibt zu hoffen, dass die Schauspieler, die sich komplett entblößen, nicht stigmatisiert aus diesem Projekt hervorgehen – dafür sind sie beide zu talentiert.

Ab 18; Kinostart an diesem Donnerstag

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