Von Gabriele Hauger Kandern-Riedlingen. Die Sprache ist für Theatermann Dieter Bitterli ein unschätzbares Gefäß der Erinnerung, der Erkenntnisgewinnung und der Fantasie, vielschichtig und ein wunderbares Mittel der Differenzierung. Der Schönheit der Sprache hat er daher in diesem Sommer die Veranstaltungen von „Theater im Hof“ gewidmet. Auftakt der Reihe im beschaulichen Riedlingen im Innenhof unter der inzwischen schon fast berühmten Kastanie ist am Samstag, 30. Juli, 20.30 Uhr, mit der Lesung von Mathias Noack, einem gern gesehenen Gast bei „Theater im Hof“. „Jugend“ Noack tritt an zahlreichen renommierten Theatern auf, wirkt in Film- und Fernsehproduktionen mit und ist seit 2014 Professor an der Universität der Künste Berlin. In Riedlingen liest er aus Joseph Conrads Erzählung „Jugend“. Die Geschichte handelt von dem jungen Seemann Marlow, der als zweiter Offizier seine erste Reise nach Asien antritt. Da das Schiff aber vor Java in Brand gerät, sieht sich die Mannschaft gezwungen, an Land zu rudern, weshalb sie das Vorhaben, nach Bangkok zu fahren, aufgeben muss. In der eigentlichen Rahmenhandlung erzählt Marlow 20 Jahre später einigen anderen Seemännern von diesen Ereignissen – ein spezieller Rückblick auf eine spezielle Jugend. „Ein Meisterstück der Erinnerung“ nennt Bitterli die Erzählung. Die Jugendlichen nehmen auf dieser chaotischen Schifffahrt, bei der alles schief geht, viel auf sich, doch diese Erlebnisse machen sie auch stark. Bitterli sieht in diesem Aspekt interessante Parallelen für die Jugend von heute, auch wenn deren Bewährungen heute ganz andere seien. Conrads Erzählung zeige besonders gut, wie die Sprache erlaube, die Vergangenheit und damit auch die Jugend wieder lebendig werden zu lassen – für Bitterli ein Faszinosum. Spannend findet er zudem, dass der Autor Conrad eigentlich polnischer Muttersprachler war und es ihm trotzdem gelang, die englische Sprache voranzubringen und zu beeinflussen. „Sprach“-Pessimismus bezüglich der Jugend von heute liegt Bitterli im übrigen fern. Trotz Wortverstümmelungen an Smartphone  & Co. „Natürlich wird die deutsche Sprache zuweilen ganz schön gequält, aber das gab es schon immer.“ Auf der anderen Seite gebe es aber viele gerade junge Schriftsteller und Kreative, die das Deutsche mit ganz neuen Dimensionen auflade. „Orpheus Downtown“ Zu diesen Kreativen gehört auch der Slampoet Timo Brunke, der am 6. August, 20.30 Uhr, mit „Orpheus Downtown“ mit Balladen, Vokabelliedern, Lautpoemen und Erzählgedichten in den Hof kommt. Brunke ist Begründer des Stuttgarter Poetry Slams. Er improvisiert gekonnt und verarbeitet in seinen Gedichten Anklänge an Goethe, Schwitters oder Brecht. „In seinen Versen steckt die Bandbreite der Poesie von vor 300 Jahren bis heute. Schon den Titel des Abends finde ich wunderbar: Er suggeriert, wie die Sagengestalt Orpheus dahin kommt, wo das heutige Leben brodelt“, so Bitterli. Brunke hat zudem ein Kinderbuch herausgegeben: „10 Minuten Dings“ und hat damit inzwischen Hunderte Schulen und Bibliotheken besucht. Daher bietet das Theater im Hof dieses Jahr ein Poesie- und Fantasielabor für Kinder von acht bis elf Jahren an unter dem Titel „Wörter, Wunder, Witz und Welten“. Eine Abschluss-Matinee für Familien und Freunde der teilnehmenden Kinder findet am 6. August um 11 Uhr statt. Ebenfalls für Kinder – aber auch für „Große“ Kinder – ist der traditionelle Auftritt des Figurentheaters Vagabu mit Christian Schuppli und Musik von Michael Studer. Am 31. Juli, 15.30 Uhr, wird zum zweiten Mal das berührende Stück „Allein auf der Welt“ gespielt. „Der Spaziergang“ Eine Wiederholung aufgrund des enormen Erfolgs ist das zweimal ins Programm genommene Stück (10./11. August, 20.30 Uhr) „Der Spaziergang“ von Robert Walser mit dem Musiker Jürg Kienberger und dem Schauspieler Ueli Jäggi, eine literarische Schlenderei durch einen einzigen Tag. Darin spaziert ein armer Poet einen Tag lang durch sein Städtchen. Er beobachtet im Vorübergehen und fühlt aus tiefstem Herzen. Er erregt sich über die modernen Zeit und beschwört die Seligkeit der Natur. „Es ist einfach, skurril, humorvoll und erkenntnisreich, aber ohne Zeigefinger“, fasst Bitterli zusammen. „Man kann quasi selbst einen Spaziergang durchs eigene Leben mitgehen.“ „La Mal Coiffée“ Zum Abschluss am 14. August, 20.30 Uhr, tritt die Frauen-Band der „schlecht Frisierten“, „La Mal Coiffée“ mit Liedern aus Okzitanien auf. Bitterli erlebte die Musikerinnen bei einem Konzert in St. Agathen in Fahrnau – und war hingerissen. Auch wenn die Wenigsten die wunderbaren Texte der Lieder verstehen werden: Den erotischen, ausdrucksstarken und vor Leben sprühenden Grundton spüre man, so Bitterli. Referenzfigur der Musikerinnen ist eine alte, zauselige Frau, die auf einem südfranzösischen Marktplatz sitzend alles scharf beobachtet und mit lästerlichem Maul kommentiert. Ein wort- und stimmgewaltiges Ende des diesjährigen „Theater im Hof“. n Karten unter Tel. 07626/972081