Kandern Erschütternde Szenen eines Überlebenskampfes

Weiler Zeitung
Andrzey Szpilman und Kateryna Tereshchenko beim literarisch-musikalischen Abend der Stadtbücherei Kandern im „Ochsen“-Saal. Foto: Walter Bronner Foto: Weiler Zeitung

Literarisch-musikalischer Abend der Stadtbücherei zum Schicksal des Pianisten Wladyslaw Szpilman

Kandern (bn). Von den vielen erschütternden Szenen in Wladyslaw Szpilmans Autobiografie „Der Pianist – mein wunderbares Überleben“ berührt besonders jene von der letzten gemeinsamen Mahlzeit der polnisch-jüdischen Familie vor deren Abtransport aus dem Warschauer Ghetto ins Vernichtungslager. Sie bestand aus einem einzigen Sahnebonbon, das der Vater noch an der Rampe des Todeszugs ergattern konnte und akkurat in sechs winzige Stückchen teilte.

Vorgelesen wurde diese Schilderung am Freitagabend im Kanderner „Ochsen“-Saal, wohin der Förderverein der Stadtbücherei zu einer literarisch-musikalischen Begegnung mit Andrzey Szpilman, dem Sohn des 2008 verstorbenen Virtuosen und Komponisten, und der ukrainischen Pianistin Kateryna Tereshchenko eingeladen hatte.

Im gut besetzten Saal gab es wohl niemanden, der von den Erfahrungen Szpilmans nicht zutiefst berührt war. Die meisten Besucher kannten zwar Roman Polanskis mehrfach preisgekrönten Spielfilm „Der Pianist“, dessen realer Protagonist dank der Hilfe eines Wehrmachtsoffiziers die Verfolgung und den Krieg in einem Versteck überstand. Doch die jetzt vom Sohn vorgetragenen Auszüge aus den Memoiren seines Vaters beleuchteten das Geschehen noch einmal aus einer ganz anderen Dimension.

Etwa die Darstellung der von Angstschreien misshandelter Menschen, wehklagenden Frauen, weinenden Kindern, Befehlsgebrüll der Schergen und Schmerzenslauten unzähliger zum Skelett abgemagerter Gestalten begleiteten Ghetto-Räumung. Erschütternd auch, wie Wladyslaw Szpilman das Ghetto-Dasein zuvor beschreibt und schildert, wie sich Abstumpfung und Gefühlskälte rasch ausbreiten, wie ein dem Verhungern naher Mensch versucht, einer alten Frau eine Kanne mit Suppe zu entreißen, der kostbare Gefäßinhalt sich über den Bordstein ergießt und vom Dieb trotz der Fußtritte gegen seinen Kopf gierig vom verdreckten Boden aufgesaugt wird.

Neben solchen Buchauszügen stellte Andrzey Szpilman geradezu plastisch dar, wie mitunter kuriose Schicksalswendungen das Überleben des Vaters ermöglichten. Ebenso die spätere (in Polen streng limitierte) Herausgabe seiner Biografie und die hürdenreichen Umwege bei deren Übersetzungen in andere Sprachen.

Erinnert wurde auch an das tragische spätere Schicksal von Wladyslaw Szpilmans Retter Wilm Hosenfeld, der trotz vieler Hilfeversuche des Pianisten leidvolle Jahre in sowjetischer Gefangenschaft erdulden musste und 1952 in einem Lager bei Stalingrad starb. Erst 2008 wurde dem mutigen Offizier posthume Anerkennung zuteil, als ihn die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem zum „Gerechten unter den Völkern“ ernannte.

Zwischen den einzelnen Vortrags- und Leseabschnitten interpretierte Kateryna Tereshchenko berückende pianistische Miniaturen von Frédéric Chopin, darunter die von sanfter Melancholie durchströmten Nocturnes cis, e- und c-Moll, einen populären Walzer, zwei Balladen, das anmutige Prélude e-Moll und das Andante spianato G-Dur mit zupackender Virtuosität und sympathischer Frische.

Außerdem hatte sie einige Stücke von Wladyslaw Szpilman in petto, vorwiegend Salonminiaturen von elegischem Flair, aber auch ein rhapsodisches Stück von aggressiver Heftigkeit und eine Mazurka im Stile Chopins, dessen Musik in seiner polnischen Heimat während der Nazi-Besatzung verboten war.

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