„Wir wurden Zeugen von einem halben Jahrtausend und haben einen beeindruckenden Abend mit Hintergrundinformationen erlebt“, umschrieb Bürgermeister Gerd Schönbett in seinen Dankesworten an Liedermacher Uli Führe und Mundart-Dichter Markus Manfred Jung zwei nachdenklich stimmende Stunden in der Tegernauer Laurentiuskirche am Mittwochabend. Von Klaus Brust Kleines Wiesental-Tegernau. Beherzt griff Uli Führe zur Gitarre, lud zum Mitsingen ein, denn er hatte eine „musikalische Liederreise vor, wozu er interessante Details beizusteuern wusste. „Die Noten machen den Text lebendig“, zitierte er Martin Luther, der auch die Bedeutung der Muttersprache und der Stimmen hervorgehoben habe. Luther habe ebenfalls Instrumente und die Orgel im Gottesdienst sanktioniert, während der Schweizer Reformator Zwingli die Musik bei kirchlichen Feiern komplett abgelehnt habe. Gewaltig erklangen „Nun freut euch liebe Christen g’mein“ und „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ im Kirchenraum, Lieder auf Kirchentonarten. Sogar sieben Lieder von Luther seien im „Gotteslob“ der katholischen Mitchristen vertreten, verriet Führe und verglich junge Handwerker, die damals als Störenfriede bei der katholischen Messe erschienen und ein Lutherlied in Deutsch anstimmten, mit den Protesten in Muttlangen gegen die Raketenstationierung. Störenfriede in der Messe Das deutsche Credo Martin Luthers „Wir glauben all an einen Gott“ und der Affront gegen die alte Kirche mit „Ein feste Burg ist unser Gott“ durfte bei den Betrachtungen nicht fehlen. Markus Manfred Jung trug klar formulierte Gedanken zum Stichwort 9. November vor. Mit dem Fall der Mauer 1989 begann er, wies auf das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 hin und erinnerte an den gescheiterten Ludendorff-Hitler-Putsch 1923. Die Reichskristallnacht 1938, der Massenmord an den Juden, war für den Gymnasiallehrer Jung Anlass, Luthers Antisemitismus anzusprechen und die Meinung zu vertreten, Freiheit sei Freiheit der Andersdenkenden. Leider sei Hegels Aussage „Völker und Regierungen haben nie etwas aus der Geschichte gelernt“ bis heute zu beobachten. Jung lobte die Haltung Johann Peter Hebels zu den Juden. Für die Zukunft wünschte sich der Redner die Wahrung der Erinnerung an den 9. November 1989. Es fehlte nicht der 9. November 2016, der Wahlsieg Donald Trumps in Amerika. Liedermacher Uli Führe hatte zum zweiten Teil des alemannischen Abends selbst vertonte Hebelgedichte im Gepäck und ausdrucksstark zelebriert. Markus M. Jung stellte den Aufklärer Hebel in den Mittelpunkt und zitierte humorvoll aus dem Gedicht „Das Habermus“ und die kürzeste Kalendergeschichte „Die Ohrfeige“ und überlegte, ob es Hebel heute wohl gelänge, die „Ökumenische Bewegung“ zu vereinen wie 1821 die beiden evangelischen Konfessionen in Baden. Schmackhafter Abschluss in der „Krone“ Ohne Zugaben durften sich die beiden Künstler nicht aus der Kirche verabschieden; die „Zufriedenheit“ interpretierte Uli Führe auf seine Art und Markus Jung las die Anekdote „Vati, wie sieht der liebe Gott aus"“ Beim sich anschließenden Nachhock im über 900 Jahre alten Gebäude des Gasthauses „Krone“ streifte Hans Viardot bei der schmackhaften Kürbissuppe mit gerösteten Kürbiskernen und Schmalzbrot die Geschichte des Wirtshausmuseums. Ein informativer und gelungener Abend, der in Erinnerung bleiben wird.