„Koma“ von Georg Friedrich Haas Klänge aus der Dunkelkammer

Susanne Benda
Den Schwebezustand zwischen Leben und Tod strebt der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas in seiner neuen Oper „Koma“ an Foto: Bärbl Hohmann

Nach „Bluthaus“ und „Thomas“ haben die beiden Österreicher Georg Friedrich Haas (Musik) und Händl Klaus (Text) ihre dritte gemeinsame Oper in Schwetzingen herausgebracht: ein eindrucksvoller Abend, von dem ein Großteil in vollkommener Dunkelheit spielt.

Schwetzingen - „Michaela!“, wispert es aus dem zweiten Rang, und immer wieder „Michaela!“ Im Rokokotheater ist es stockfinster, das Publikum sieht die Hand vor Augen nicht, die Sänger oben können ihre Kollegen nur hören, im Dunkel verschwindet der Notentext des Komponisten Georg Friedrich Haas auf den Pulten vor den Musikern des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart, und der Dirigent Jonathan Stockhammer muss hoffen, dass er vor der Opernuraufführung am Freitagabend präzise genug mit den Interpreten das blinde gegenseitige Erspüren und gemeinsame Atmen einstudiert hat. Es ist ein Wunder, dass dies der Fall ist, aber dieses Wunder ist nicht nur hart erarbeitet, sondern Bedingung: Wäre es nicht eingetreten, dann hätte die dritte Oper, die Haas auf ein Libretto seines Landsmanns Händl Klaus schrieb, ihr Ziel nicht erreicht.

Ihr Ziel, das ist dieses: Mit Klängen aus dem Reich der Zwischentöne, die der Komponist findet, indem er die Abstände zwischen Ganztönen vielfach untergliedert, will „Koma“ den bewusstlosen Schwebezustand zwischen Leben und Tod akustisch nacherlebbar machen. Die sogenannte Mikrotonalität wirkt manchmal wie nur leicht „verschmutzte“ Tonalität, und immer wieder macht Haas hörbar, dass sie auf ganz natürlichen physikalischen Phänomenen fußt: auf dem Nachklingen von Naturtönen und auf dem Mitklingen von Obertönen über jedem Ton. Dass seine neue Oper aus diesem physikalischen Phänomen nicht nur ein sehr physisches wird, sondern Metaphysik, liegt am Thema. Es liegt auch am einkomponierten Beleuchtungswechsel, den er eng mit Text und Musik verbunden hat.

Michaela liegt im Wachkoma

Mindestens die Hälfte des Stücks spielt in kompletter Dunkelheit, der Rest ist mal grell erleuchtet, mal liegt die Szene im Halbdunkel. Zwischen Leben und Tod, Konkretem und Abstraktem agieren die Figuren rund um die im Wachkoma liegende Michaela; mal reagieren sie auf die Patientin und versorgen sie, mal versinken sie in Erinnerungen. Da ist Michaelas Mann, da sind die Schwester und deren Mann, der gleichzeitig auch der Liebhaber Michaelas war, da sind die Mutter, die stumme Tochter, eine Ärztin und Pfleger: Sie alle bewegen sich singend und sprechend zwischen Licht und Schatten, tauchen auf und wieder ab.

Und so wie die Musik sich vom Geschehen mal weiter entfernt (vor allem mit auf- und abwärts gleitenden Vierteltontrauben), immer wieder aber auch ganz nahe heranzoomt (mit solistischen Aktionen und vor allem mit einem virtuos eingesetzten, in sich auf fast mitteltönig wirkende Weise verstimmten Klavier): So wechseln Nähe und Entfernung in den von Karsten Wiegand (Regie) und Bärbl Hohmann (Bühnenbild) zwischen zwei riesigen Bilderrahmen gestalteten Szenen.

Tod, Leben und die vegetative Existenz dazwischen: Diesen Bereichen ordnen sich die zu Beginn auf einen Gazevorhang projizierten überdimensionalen Bilder eines Kopfes und zweier Füße ebenso zu wie die Menschengruppen um das Krankenhausbett ganz hinten am Bühnenende, und wenn die Helfer an den Türen im Zuschauerraum sogar die Notausgang-Zeichen verdecken, ist es so finster, dass einem das Sehen vergeht.

Dann, erst dann, erklingt die Stimme Ruth Webers aus der rechten Seitenloge: Als Michaela bleibt sie unsichtbar und singt Melodiebögen ohne erkennbaren Text, die den vokalen Aktionen der anderen die Grundfarbe von Sehnsucht beigeben.

Keine böse Neue Musik

Diese Sehnsucht hat auch etwas mit Schönheit zu tun. Die Klangverschiebungen, die sich manchmal kreuzen, das Streicherflirren, das manchmal wirkt wie ein weich-wohliger Klangfusselteppich, die unbegleiteten Ensemble-Passagen mit ihren Tonreibungen: Das alles ist keine böse Neue Musik. Im Gegenteil: Die Klänge von Georg Friedrich Haas haben – zumindest auf dem Niveau, auf dem das Orchester sie hier serviert und auf dem neben Ruth Weber auch Lini Gong, Daniel Gloger und Ekkehard Abele sie singend präsentieren – durchaus etwas Gourmetisches. Man kann sie genießen, kann sich hineinfallen lassen und dann selbst einen Zustand erreichen, der einem Wachkoma ähnelt.

Dass sich offenbar auch Georg Friedrich Haas selbst ein wenig (zu sehr) in seine eigenen akustischen Welten verliebte, muss man billigend in Kauf nehmen ebenso wie die Folge: dass nämlich der Abend manchmal nicht nur wegen seiner Handlungsarmut auf der Stelle tritt. Der sehr eigene, durch Kommata und durch die Verteilung von Satzteilen auf die Sänger gleichsam zerhackte Text von Händl Klaus befördert trotz vieler kleiner Sprachwunder-Momente zusätzlich den Eindruck von Längen und Redundanzen, weil man ihn nicht immer versteht. Einwenden kann man auch, dass das Spiel mit Licht und Schatten auf Dauer etwas ziemlich Erwartbares hat.

Dennoch wird man „Koma“ schon wegen seiner ausgeprägten Eigenartigkeit nicht vergessen. In Erinnerung wird auch das erste Bild bleiben: Während im Orchestergraben ein zartes Sirren und Flirren anhebt, sieht das Publikum eine Projektion seiner selbst auf dem Gazevorhang – und bemerkt erstaunt, wie sich ein Besucher nach dem anderen auflöst. Zurück bleiben leere Zuschauersitze. So mag es eintreten, das eigene Verschwinden: unmerklich. Aus dem Grab(en) heraus umhüllt das vergehende Physische und Physikalische ein tröstender metaphysischer Schleier. Schön war’s, schön wär’s.

Am 24. Juni wird die Produktion an das Staatstheater Darmstadt übernommen und ist dort nochmals am 9., 21. und 31. Juli zu sehen. Am 12. Juni sendet SWR 2 um 20.03 Uhr einen Mitschnitt der Oper.

Umfrage

Bettina Stark-Watzinger

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich für Zivilschutzübungen an Schulen ausgesprochen. Damit sollen Schüler besser auf den Kriegsfall, Pandemien und Naturkatastrophen vorbereitet werden. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading