Von Marco Fraune Kreis Lörrach. Zwei Lebenswelten sollen zu einer verbunden werden, wie bunte Punkte inmitten einer bunten Gesellschaft. Das wird den Menschen mit Behinderung mit der UN-Behindertenrechtskonvention versprochen. Im äußersten Südwesten der Republik will man Wort halten. Profitieren können Niels Herter, Mareike Brischle, Michael Knöbel oder auch Sarah Kropf. Das sind vier Menschen von weltweit geschätzten 650 Millionen, die mit einer Behinderung leben. Diejenigen, die im Dreiländereck zuhause sind, finden sich im Teilhabeplan des Landkreises Lörrach wieder. Besser gesagt: deren entsprechende Anliegen. In dem rund 70-seitigen Werk wird die Sozialplanung für geistig, körperlich und mehrfach behinderte Menschen beschrieben. Alt-Landrat Walter Schneider hat hier zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Ende 2010 klar gemacht, dass die Hilfe für Menschen mit Behinderungen eine zentrale Zukunftsaufgabe für seinen Landkreis ist. „Dabei stehen die Teilhabe und die Zielsetzung, ein möglichst selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft führen zu können, im Mittelpunkt.“ Anknüpfen wollte der Vorgänger von Marion Dammann an „eine lange Tradition“, da im südbadischen Raum die ersten Einrichtungen zur Förderung und Versorgung für Menschen mit Behinderungen Deutschlands entstanden seien. Der Geschäftsführer einer solchen ist Helmut Ressel. Mit der Lebenshilfe Lörrach kann er in diesem Jahr nicht nur auf ein 50-jähriges Bestehen seiner Einrichtung zurückblicken, sondern er sieht vor allem, wie eine reine Integration von Behinderten hin zur Inklusion vorangetrieben wird. „Ich erlebe, dass im Landkreis von allen, die an der Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft beteiligt sind, die Inklusion als Handlungsziel intensiv verfolgt wird.“ Gerade das neue „Netzwerk Inklusion“ sei dafür ein klares Zeichen. Erst einmal ist die Laufzeit dieses Projektes, das im März 2013 startete, auf drei Jahre begrenzt. Dass für die Gesellschaft in der Grenzregion dann die Inklusion abgeschlossen ist, glaubt Projektleiter Bernd Winter nicht. Ziel ist vielmehr, Ideen zu entwickeln, das eigene Umfeld inklusiv zu gestalten. Erfahrungen, Überlegungen, Anregungen und Sichtweisen von Menschen zusammenbringen und für alle sichtbar machen – diese Ansinnen sollen verfolgt werden. Über allem schwebt dabei die UN-Vereinbarung, deren Leitgedanke die Inklusion ist. Winter: „Hier ist die Gesetzgebung ungewöhnlicherweise weiter als die gesellschaftliche Realität.“ Eine Behinderung stelle nun nicht mehr ein persönliches Problem dar, sondern Behinderung werde im Wechsel mit der Umwelt verstanden. Die bunten Punkte der Gesellschaft sollen also zusammenfinden. Fußball ist hier ein verbindenes Element. Niels Herter und Mareike Brischle, die in der neuen Serie unserer Zeitung über ihre Leben berichten, lieben wie zahllose Nicht-Behinderte den SC Freiburg. Michael Knöbel, der ebenso den Serien-Titel „Mitten im Leben“ mit eigenen Ansichten und Erlebnissen in den nächsten Monaten füllen wird, mag Musicals, wie zahllose Nicht-Behinderte auch. Die vierte Autorin, Sarah Kropf, freut sich wie andere nichtbehinderte Frauen in ihrem Alter, wenn ein paar Pfunde purzeln. Die Lebenswelten sind also nicht so weit auseinander, legen die Interessenlagen nahe. Im Landkreis Lörrach sind es gut 17 000 Schwerbehinderte, die einen entsprechenden Ausweis vorlegen können. Eingliederungshilfe erhalten gut 1000 davon. „Inklusion ist dann erreicht, wenn es keine institutionellen Sonderhilfen mehr geben muss, sondern die nötige Unterstützung im Alltag in der Wohngemeinde ganz selbstverständlich ist“, beschreibt Waltraud Hermann, Leiterin des Fachbereichs Soziales, die für die Eingliederungshilfe-Auszahlungen zuständig ist. „Dazu werden noch viele Netzwerke zu knüpfen und viele Teilschritte zu gehen sein.“ Das System der finanziellen Hilfen für Menschen mit Behinderung müsse dafür überdacht und verändert werden. „Vor allem aber müssen Menschen mit Behinderung auf ihre Wohngemeinde zugehen.“ Nur so könne sich das Hilfesystem ändern. Noch ist das Bild der bunten Punkte, die einen gemeinsamen Kreis bilden, nicht vollständig. Da machen sich die mit der Inklusion beschäftigten Akteure nichts vor. Hürden bestehen aktuell, weiß Ressel von der Lebenshilfe. „Wir müssen in vielen Bereichen, wie etwa im Schulbereich noch Kompetenzen entwickeln.“ Die neuen Strukturen müssten stabilisiert werden und qualitativ ausreichend ausgestattet sein. „Wichtig ist uns auch, dass wir bei den inklusiven Entwicklungen die Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf nicht vergessen.“ Der Projektleiter des Inklusionsnetzwerkes weiß zwar, dass die Professionellen aus der Behindertenhilfe ihre Konzepte verstärkt überdenken. Doch: „Auf kommunaler Ebene ist aus unserer Sicht noch sehr viel Potenzial für Verbesserungen.“ Als enorme gesellschaftliche Aufgabe hat die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt jüngst in Lörrach die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention bezeichnet. Dabei machte sie aber auchklar: „Teilhabe ist für alle Menschen ein Gewinn.“