Kreis Lörrach „Es braucht auch Praktiker in Berlin“

Die Oberbadische
Grünen-Kandidatin Ina Rosenthal mit ihrem Stadtbild-prägenden Markenzeichen, dem grün eingehäkelten Fahrrad. Foto: Kristoff Meller Foto: Die Oberbadische

Bundestagswahl: Die Kandidatin und die Kandidaten im Gespräch / Heute: Ina Rosenthal, Grüne

Von Jörg Bertsch

Kreis Lörrach. Mit einer kämpferischen Rede bewarb sich Ina Rosenthal im November 2012 auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen um einen Platz auf der Landesliste für die Bundestagswahl. Für eine solidarische, achtsame Gesellschaft der Vielfalt und der Möglichkeiten wolle sie sich einsetzen, versprach sie. Im persönlichen Gespräch erweist sie sich als differenzierte Persönlichkeit mit vielen Facetten und einer Begabung für die leisen Töne.

Politisches Engagement hat Rosenthal buchstäblich mit der Muttermilch eingesogen: „Zum ersten Mal auf einer Demo verhaftet wurde ich mit sechs Monaten – auf dem Arm meiner Mutter“, erzählt sie. Das war 1968, und die Eltern waren echte, „klassische“ Achtundsechziger. Bei der Tochter ist der Linksdrall nicht, wie bei manchen zu beobachten, ins Gegenteil umgeschlagen. Sie engagierte sich früh in der Anti-Atom- und Friedensbewegung und zog sich mit 13 Jahren die ersten selbst verdienten blauen Flecken zu – bei einer Demo gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen.

Beruflich gab sie zuerst ihrer kreativen Ader Raum, studierte Fotodesign und arbeitete dann längere Zeit als Fotojournalistin. Ein Angebot, für den WDR nach Kosovo zu gehen, konnte sie nicht annehmen. Denn da war inzwischen das Kind: „Mit einem sechs Wochen alten Baby wäre das nicht so gut gegangen.“

In der Folge wandte sie sich beruflich – „ganz klassisch“ – dem Sozialbereich zu. Nach einer sozialtherapeutischen Ausbildung war sie in der Resozialisierung tätig, in der Trennungs- und Scheidungsberatung und leitete später 15 Jahre lang Projekte zur Integration benachteiligter Menschen in den Arbeitsmarkt. Seit 2012 arbeitet sie beim Familienzentrum Lörrach und bildet dort unter anderem Tagesmütter und -väter aus.

Die politische Muttermilch wirkte nach, und so trat Ina Rosenthal 1998 der Grünen Partei bei. Stark engagieren konnte sie sich freilich zuerst nicht als Mutter und Familienernährerin. Nun, da die Tochter, inzwischen 20 Jahre alt, aus dem Haus ist, sind wieder Kapazitäten frei.

Wenn sich Rosenthal heute für Achtung und Menschenwürde, für eine Gesellschaft der Vielfalt und der Möglichkeiten einsetzt, so weiß sie, wovon sie spricht. „Ich stehe heute vor euch als Frau, Feministin, Lesbe und Mutter“, sagte sie selbstbewusst auf jener Landesdelegiertenkonferenz, aber sie räumt im persönlichen Gespräch doch ein, dass „die Toleranz auch heute manchmal noch sehr oberflächlich ist“.

1993 jedenfalls, als sie sich entschloss, ein Kind zu bekommen und es zusammen mit ihrer Partnerin großzuziehen, gab es noch keine Frauenfamilien. Es gab auch sonst keine Frauenvorbilder in der Gesellschaft. Da galt es, „sich hinzustellen und selbst Vorbild zu sein und zu sagen: Ich bin okay so, wie ich bin; und man darf auch anders sein.“

Ihren Feminismus, übrigens, versteht sie überhaupt nicht als gegen die Männer gerichtet. Es geht einfach darum, gegen die strukturelle Benachteiligung der Frauen anzukämpfen: „In Deutschland verdienen die Frauen bei gleicher Arbeit 22 Prozent weniger als die Männer, und in Baden-Württemberg sogar 27 Prozent.“ Deutschland stehe in punkto Gleichstellung innerhalb der EU an zweitletzter Stelle. Da ist Handlungsbedarf. Aber es soll nicht auf Kosten der Männer gehen, wenn die Frauen gleichgestellt werden.

Gleiche Chancen herzustellen, nicht nur zwischen Frauen und Männern – das sei ein wesentliches Motiv ihres politischen Engagements, sagt Rosenthal. Politik kann nicht alles richten, aber sie muss Impulse geben: Dass der Erfahrungsschatz der Älteren in der Arbeitswelt wieder mehr Wertschätzung erfährt, dass soziale und Arbeitsstrukturen so gestaltet werden, dass alle zu ihrem Recht kommen. „Es gibt so viele, auch kleine Dinge, für die die Politik Impulse geben muss.“

Auch der Vorschlag mit einem Vegi-Tag pro Woche in Kantinen sei ein solcher Impuls, sagt Rosenthal, die nicht erkennen kann, dass die Grünen damit Kurs auf einen „Gouvernantenstaat“ nehmen, wie ihnen jedoch vorgeworfen wird. „Wenn ich mir dagegen anschaue, wie Frau Merkel durch Europa reist und allen sagt, was sie zu tun haben – dann bin ich doch lieber in einer Partei, die zum Nachdenken anregt.“

Und falls sie dann in Berlin ankommen sollte, will sie dort ihre Lebenserfahrung einbringen und dazu beitragen, „dass Politik wieder etwas mit dem Alltag der Menschen zu tun hat“. Nichts gegen die hochspezialisierten Politik-Fachleute – „aber es muss auch Praktiker in Berlin haben!“

Themenwechsel: „Die einfachen Dinge sind oft die effektivsten“, sagt Ina Rosenthal, auf ihr Faible für Kneipp-Anwendungen angesprochen. „Ich bin ein Fan davon, die Basics auszuprobieren“, sagt sie und singt ein Loblied auf den Erfahrungsschatz der Eltern und Großeltern – und erweist sich so, trotz ihrer unkonventionellen privaten Lebensform, als durchaus wertkonservativ.

Was sie übrigens auch in religiöser Hinsicht ist. Argwöhnisch beäugt von ihren 68er-Eltern hatte sie als Kind zuerst begeistert protestantische, später katholische Gottesdienste besucht und eine Zeitlang sogar ein Theologiestudium erwogen.

Nun aber hat sie sich – als Erste in der Familie seit drei Generationen – auf ihre religiösen Wurzeln besonnen und engagiert sich in der liberalen jüdischen Gemeinde Migwan in Basel.

Da spiele, sagt sie nachdenklich, auch die Heimatsuche mit, die sie schon als Kind gefühlt habe, die sich seither wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehe, und die zugleich etwas Urjüdisches sei: die Suche nach einem Ort, wo man sein darf.

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