Kreis Lörrach Jeden einzelnen Schüler im Blick

Die Oberbadische
Foto: Sarah Trinler Foto: Die Oberbadische

Verabschiedung: Schulamtsleiter Helmut Rüdlin geht in den Ruhestand

Helmut Rüdlin, seit acht Jahren Leiter des Staatlichen Schulamts Lörrach, wird am morgigen Freitag feierlich in den Ruhestand verabschiedet. Im Gespräch mit Sarah Trinler spricht er über die vielfältigen Herausforderungen in der Bildungslandschaft, aber auch über seinen ersten Schultag – als Lehrer.

Nein. Eigentlich hatte ich nach dem Abitur ein VWL-Studium angestrebt. Doch dann kam die Wehrpflicht dazwischen. In den 18 Monaten hatte ich viel Zeit nachzudenken. Ich setzte mich auch mit meiner Schulzeit auseinander, in der doch einige Lehrer waren, die besonders autoritär auftraten. Dann dachte ich: Ich möchte es anders machen.

Sogar sehr gut. Es war der 7. April 1975. Als Markgräfler Junge wurde ich dem Schulamtsbereich Biberach zugeordnet und hatte die Möglichkeit, an die Grund- und Hauptschule im Illertal oder an eine Schule für Lernbehinderte nach Laupheim zu gehen. Ich entschied mich klar für Letztere, weshalb mich die Sonderpädagogik vom ersten Tag an begleitete. Später folgte noch das Aufbaustudium zum Sonderschullehrer – ich konnte es mir gar nicht mehr anders vorstellen.

Ganz einfach: In diesem Bereich sieht man noch deutlicher die Entwicklung jedes einzelnen Schülers. Zudem wird deutlich, dass es sich lohnt, sich für die Schüler einzusetzen.

Mein Ziel war immer, eine positive Beziehung zu den Schülern zu haben. Häufig reden wir von Klassen, vergessen dabei aber, dass wir von Schülern sprechen sollten und individuell denken müssen.

Natürlich haben sich die Kinder verändert, da die Gesellschaft heute eine andere ist. Die Elektronik hat Einzug in den Alltag gehalten, und die Familienstrukturen haben sich gewandelt. An den grundsätzlichen Anforderungen – wie zum Beispiel Geduld, Empathie und eine hohe Frustrationstoleranz – hat sich aber, denke ich, nichts geändert.

Stimmt. Viele Themen, die früher ganz selbstverständlich in den Händen der Familien lagen, verlagern sich heute in die Schule. Die Anforderungen haben also zugenommen, da die Rahmenbedingungen heute andere sind.

Die Kultusministerin hat Recht: Es wird Zeit, dass die Lehrer sich wieder mehr auf die Unterrichtsqualität fokussieren können. Mit den Veränderungen im Bildungssystem waren wir dem Risiko ausgesetzt, dass Strukturdebatten im Mittelpunkt standen. Dieser Fokus hat sich nicht positiv auf die Qualität des Lernens ausgewirkt.

Das sehe ich unter anderem im Bereich der Berufsorientierung. Die Frage, was machen die Schüler nach der Schule, ist in besonderer Weise wichtig. Wir haben derzeit eine hohe nichtakzeptable Quote von Studien- und Ausbildungsabbrechern. Schülerinnen und Schüler sollten mehr qualifizierte Praktikumserfahrungen sammeln können. Weiter müsste die Zusammenarbeit zum einen mit den Personen, die die Kinder beeinflussen – meist die Eltern –, enger sein, zum anderen die Kooperation mit Beratungsstellen oder den Betrieben verstärkt werden. Nur so kann eine mögliche Umorientierung rechtzeitig – also vor Ausbildungsbeginn – erfolgen, damit der Schüler keine negative Lernerfahrung machen muss.

Wir konnten die Tendenz schon vor Jahren erkennen, dass junge Lehrer lieber im Zentrum als auf dem Land arbeiten. Mein Vorgänger, Hansjörg Noe, hatte schon gesagt: „Ich kenne nur zwei Sorten von Lehrern: Die, die in Freiburg sind, und die, die nach Freiburg wollen.“ Da wir tatsächlich zu wenig Bewerbungen haben, vor allem im Bereich der Sonderpädagogik sowie im Grundschulbereich, muss der Lehrerberuf wieder attraktiver werden. In Auggen, wo ich aufgewachsen bin, wohnten wir in direkter Nachbarschaft zu einem Lehrerhaus, wie es früher üblich war. Ich könnte mir vorstellen, dass ein solches Angebot auf dem Land auch heute wirken könnte. Doch die Attraktivität des ländlichen Raums muss insgesamt diskutiert werden, da nicht nur die Schulen betroffen sind. Beispielsweise macht sich auch ein Ärztemangel bemerkbar.

Zuerst einmal muss verstanden werden, dass die Einwanderer Deutsch als Zweitsprache und nicht als Fremdsprache lernen müssen. Das ist für die hiesigen Deutschlehrer eine völlig neue Situation, für die sie erst Expertise aufbauen müssen. Es sollten Lernmöglichkeiten geschaffen werden, mit Berücksichtigung, dass Migrantenkinder ganz unterschiedlichen Alters nach Deutschland kommen. Auf die Flüchtlingswellen haben die Schulen jedoch schnell und gut reagiert, Ressourcen wurden flexibel erschlossen. Auf die geleistete quantitative Versorgung muss nun die Qualitätssicherung folgen.

In den letzten Jahren war eine enorme Dynamik in der Schulentwicklung. So wurde im Grundschulbereich die Zahl der Ganztagsschulen deutlich erhöht. Bei den Sekundarschulen ist es uns gelungen, im Zuge der regionalen Schulentwicklung eine zukunftsfähige Angebotsstruktur von Gemeinschafts-, Real- und Werkrealschulen aufzubauen. Jede Schülerin und jeder Schüler, egal, wo er im Landkreis Lörrach oder Waldshut wohnt, hat eine für ihn passende Schule im Bereich der Sekundarstufe I, die für ihn zumutbar erreichbar ist. Bei der Entwicklung der sonderpädagogischen Bildungslandschaft waren wir besonders erfolgreich beim Aufbau kooperativer Angebote, gemeinsam mit den beruflichen Schulen. Diese Angebote zur Berufsorientierung und zur beruflichen Qualifizierung erhöhen die Chancen von jungen Menschen mit Behinderungen, erfolgreich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen erheblich. Als erster Landkreis haben wir Berufsvorbereitende Einrichtungen (BVE) angeboten, die Abgänger der Förderschulen und Schulen für Geistigbehinderte auf die Berufswelt vorbereiten und eine Platzierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen sollen. Innerhalb von zehn Jahren ist uns das für gut 100 Menschen gelungen.

Ich kann voller Überzeugung sagen: Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen. Ich wollte nicht Schulen verwalten, sondern die Schullandschaft gestalten und weiterentwickeln. Das konnte ich in meiner Funktion. Ich bin dankbar für die tollen Mitarbeiter, die ich gerade hier im Schulamt um mich hatte. Denn: Ein Amtsleiter allein macht kein gutes Schulamt aus. Aber auch die zunehmende Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und den Schulträgern war erfreulich. Früher gingen die Gespräche mit den Kommunen nur ums Geld, heute bringen sich diese vielmehr konstruktiv in konzeptionelle Prozesse ein.

Meine Frau und ich sind überzeugte Europäer. Wir möchten Europa noch mehr kennenlernen und auf Reise gehen.

Herr Rüdlin, wollten Sie schon immer Lehrer werden?

So kam es, dass Sie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg Lehramt studierten. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Schultag als Lehrer?

Was gefällt Ihnen so an der Sonderpädagogik?

Sie sagten, Sie wollten es besser machen. Was haben Sie besser gemacht?

Haben sich die Anforderungen an den Lehrerberuf gewandelt?

Dank neuer Schultypen wie die Gemeinschaftsschule verbringen die Kinder heutzutage jedoch mehr Zeit in der Schule.

Das Bildungssystem ist in Sachen Schulformen seit geraumer Zeit in Bewegung (Ganztagsschule, Werkrealschulen, Inklusion, etc.). Kultusministerin Susanne Eisenmann sagte jüngst in Bad Säckingen, dass es wichtig sei, dass nun wieder Ruhe einkehre, damit Lehrer sich um das Wesentliche kümmern können.

In welchem Bereich gibt es aus Ihrer Sicht noch Entwicklungspotenzial?

Angesichts der Pensionierungswelle braucht es Lehrernachwuchs, doch zeichnet sich vielmehr ein Lehrermangel ab – besonders im ländlichen Raum. Wie kann der Beruf wieder attraktiver werden?

Eine weitere Herausforderung ist die Integration von Flüchtlingen in Schulen. Wie kann diese gelingen?

Sie haben den Fachbereich Schule und Bildung im Lörracher Landratsamt und ab Januar 2009 das neue Staatliche Schulamt geleitet. Welche Akzente konnten Sie als Leiter setzen?

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Laufbahn zurück?

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