Kreis Lörrach Überforderte Eltern suchen Hilfe

Die Oberbadische
Glücklich oder unglücklich? Menschen mit Autismus können soziale und emotionale Signale nur schwer einschätzen und haben ebenso Schwierigkeiten, diese auszusenden. Symbol-Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Schulbegleitung für autistische Kinder in der Kritik / Landratsamt verweist auf geeignete Unterstützung

Von Marco Fraune

Kreis Lörrach. Überfordert, fehlende Wahrnehmung, mangelnde Unterstützung und wenig Bewegung von Seiten der Behörde. Die Eltern wirken ratlos und verärgert. Im Büro des Bundestagsabgeordneten Armin Schuster machen sie sich Luft, suchen Rat und Hilfe. Ihre autistischen Kinder würden vom Landratsamt zu wenig und zu gering qualifizierte Unterstützung in der Schule erhalten, lautet der Tenor der Beschwerde. In einer Stellungnahme weist das Landratsamt einen Tag später gegenüber unserer Zeitung die Vorwürfe zurück.

Die Kläger: Jürgen und Steffi Lahmann befinden sich im Rechtsstreit mit dem Landkreis. Ihr elfjähriger autistischer Sohn erhalte weder im Umfang noch in der Qualität eine ausreichende Schulbegleitung. Eigentlich wird der Schulbegleiter von Eltern mit autistischen Kindern als Schatten und Sprachrohr angesehen, doch zu viel Licht und zu viel Lautstärke wird beklagt. Jürgen Lahmann will nicht, dass sein Sohn in der Schule wie unter einer Käseglocke agiert. Professionelle Anleitungen sollen erfolgen, damit sich der Sohn die Struktur für die anstehenden Aufgaben selbst erarbeiten kann. „Ein Autist ist kein Teamplayer, und er kann sich keinen Plan machen.“ Der Schulbegleiter solle diese Defizite reduzieren helfen. Doch der Landkreis greife auf die Lebenshilfe Lörrach zurück, die wiederum nicht mit Fachkräften arbeite, sondern mit im Schnelldurchlauf geschulten Schulbegleitern, die lediglich zwölf Euro pro Stunde erhielten. Statt mit dem geschulten Autoverkäufer, einer Frisöse oder auch einer Hausfrau zu lernen, setzt Lahmann lieber auf qualifizierte Kräfte für seinen Sohn. Eine solche Fachkraft greife nach Ansicht des Vaters nicht direkt ein und reduziere die Hilfestellungen auf das erforderliche Mindestmaß, um die Entwicklung zu forcieren. Das sei aber nicht erfolgt: „In den zwei Jahren ist keine Verbesserung eingetreten. Das führen wir auf die mangelnde Unterstützung zurück.“ Zu Rate gezogene Experten würden diese Einschätzung teilen, doch dies nur inoffiziell äußern, sagt Lahmann. Im Rechtsstreit habe man daher von diesen nichts in der Hand. „Wir sind richtig hilflos.“

Selbsthilfegruppe: Die Familie Lahmann steht mit ihren Problemen nicht alleine da, wie ein Blick in das Abgeordneten-Zimmer von Armin Schuster deutlich macht. Mehrere Eltern haben sich schon vor drei Jahren zu einer Autismus-Selbsthilfeorganisation zusammengetan, um Erfahrungen auszutauschen oder wie in dieser Woche der Fall von ihren massiven Schwierigkeiten zu berichten, die geeigneten Hilfen und Maßnahmen vom Jugendamt zu erhalten. „Die Familien sind mit ihrer Situation überfordert“, fasst Sprecher Dietmar Eucker zusammen.

Mit ihrem Termin beim Bundestagsabgeordneten wollen die Eltern von autistischen Kindern mit ihrer Kritik wahrgenommen werden. Mehr Stunden mit den Schulbegleitern, eine bessere Qualifikation dieser Kräfte sowie eine Möglichkeit, auch auf andere Anbieter als die Lebenshilfe zurückzugreifen, sind die drei zentralen Forderungen. Das Problem, das die Eltern sehen, ist, dass es keine klare gesetzliche Regelung gibt, sondern unterschiedliche Praxisansätze. Schuster will vermitteln helfen, verspricht er.

Die Sicht des Landratsamtes: Zirka 31 Schulbegleitungen für autistische Kinder gewährt der Landkreis Lörrach aktuell, wobei die Schulbegleiter im Rahmen einer Leistungsvereinbarung seit drei Jahren durch die Lebenshilfe zur Verfügung gestellt werden, was auch seinen Grund habe. „Die Lebenshilfe ist hierfür geeignet, da sie bereits umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit autistischen Kindern im Vorschulalter besitzt“, erklärt Jürgen Wegen, Leiter des Fachbereichs Jugend und Familie, in einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung. Und: „Für die Schulbegleitungen von Autisten ist in erster Linie die persönliche Qualifikation von Bedeutung.“ Daher sei die berufliche Qualifikation nicht das allein ausschlaggebende Merkmal für das Gelingen der Unterstützung, rechtfertigt Wegen die Praxis. Es bestehe vielmehr die Notwendigkeit, dass zwischen autistischem Kind und der Schulbegleitung eine tragfähige Beziehung entstehen kann. Die Schulbegleiter würden zudem Schulungen zum Thema Autismus und Hilfeplanung sowie zum qualifizierten Umgang mit autistischen Kindern erhalten. „Die Lebenshilfe setzt den für jeden Einzelfall geeigneten Schulbegleiter ein“, ist Wegen überzeugt.

Stundenzahl: Die Anzahl der Stunden richte sich nach dem jeweiligen Bedarf des Kindes, wobei nach Modulen mit insgesamt bis zu 15 Stunden wöchentlich verfahren werde. Diese Praxis habe sich auch bewährt, nur in wenigen Ausnahmen würden Einzelfallhilfe erbracht.

Der Landkreis stelle den notwendigen Bedarf zur Verfügung. Sollten die Bedarfe weiter steigen und auch andere Leistungserbringer notwendig werden, dann würde der Kreis diese gewinnen, versichert Wegen. Kostengründe spielten zudem keine Rolle, „da wir auch mit anderen Anbietern entsprechend unserer Konzeption Vereinbarungen verhandeln werden“, betont Wegen.

Ein Termin mit Eltern und Behörde soll folgen. Beide Seiten hoffen auf eine Lösung.

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