Kreis Lörrach „Verführerisch und faszinierend“

Die Oberbadische

Kosten eines Zentralklinikum-Neubaus bestimmen Bürgerinformation ebenso wie Lage und Alternativen

Von Marco Fraune

Kreis Lörrach. Die sieben Szenarien für die zukünftige Standortentwicklung der Kreiskliniken haben ihren ersten Stimmungstest in der breiten Öffentlichkeit hinter sich. Wo ein möglicher Klinikneubau auf der „grünen Wiese“ stehen könnte, trieb Interessierte bei der ersten von vier Informationsveranstaltungen ebenso um, wie Bauzeiten, Belastungen und Bezuschussungen.

Obwohl der Kreistag über die Standorte und die Zukunftsausrichtung entscheidet, soll auch das Meinungsbild aus der Bevölkerung mit einfließen, betonte Landrätin Marion Dammann, die zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der Kreiskliniken ist. „Wir möchten nichts unberücksichtigt lassen.“ Weder sie noch der Kliniken-Geschäftsführer Armin Müller konnten aber zum jetzigen Zeitpunkt die Frage nach einem Standort eines möglichen Klinikneubaus beantworten.

Oberbürgermeister Jörg Lutz und Bürgermeister Michael Wilke wollten ebenso weitere Details erfahren, wie auch Kreisräte, Gemeinderäte und Bürger, die am Freitagabend ins Landratsamt kamen. „Es gibt noch keine Aktivitäten oder Aussichten“, setzt Müller jedoch darauf, erst einmal den inhaltlichen Prozess anzustoßen. Auch seine Aufsichtsratschefin versicherte, nicht schon auf Grundstückssuche im Landkreis gegangen zu sein. Insgesamt reicht die Bandbreite der Varianten aber vom Erhalt des Status quo, der Aufgabe des Standortes in Schopfheim oder des Krankenhauses in Rheinfelden über die Schließung beider Standorte und der Konzentration an der Spitalstraße in Lörrach bis hin zum Zentralklinikum auf der grünen Wiese. Die Kosten variieren von rund 89 Millionen bis zu 158 Millionen Euro (u siehe Info-Kasten).

Die Sicht der Stadtspitze: Wilke brachte nicht nur seine Zweifel an Großprojekten wie einem Klinikneubau zum Ausdruck, er stellte auch die prozentuale Bewertung der Entscheidungsgrundlage infrage. Die Erreichbarkeit der Klinik sowie die Entwicklungsmöglichkeit des Standortes, die mit jeweils zehn Prozent beim Votum mit einfließen sollen, könnten ohne den Ort der „grünen Wiese“ nicht bewertet werden. „20 Prozent sind noch offene Fragen.“ Wie sehr Lörrach am Krankenhaus in der Stadt hängt, wurde auch bei der Stellungnahme von Oberbürgermeister Lutz deutlich, der zugleich Kreisrat und damit Mitentscheider ist. Ein Krankenhaus sei eine wichtige Infrastruktureinrichtung. Zugleich sei eine Zentralisierung der Dienstleistungen am bisherigen Standort in Lörrach aufgrund der Bauzeit von bis zu acht Jahren „nicht vergnügungssteuerpflichtig“, wobei Müller sogar von einer zweistellige Jahreszahl sprach.

Damit ergebe sich ein „Dilemma“, findet Lutz. Für den OB steht aber bereits fest, dass er den Erhalt aller drei bisherigen Klinik-Standorte in Lörrach, Schopfheim und Rheinfelden nicht sieht. Vielmehr brachte er Flächen an dem aktuellen Lörracher Standort ebenso ins Gespräch wie das Vogelbach-Areal oder auch das TTL-Gelände. „Zentralität ist ein hohes Gut“, relativierte Lutz einen Bau auf der grünen Wiese, der nicht per se besser sein müsse.

Die Sicht von Gemeinde- und Kreisräten: Den Aspekt der Zentralität sieht auch die Kreisrätin und Lörracher Gemeinderätin Margarete Kurfeß (Grüne) als wichtig an. Sie weiß aber um die lange Bauzeit bei einer Sanierung sowie die damit verbundenen Probleme. Die Investitionskosten seien zudem zu beachten. Ob 50000 Lörracher Bürger noch kurze Wege haben, wenn auf der grünen Wiese gebaut wird, stellte CDU-Stadtverbandsvorsitzender Xaver Glattacker infrage. Kreisrat Herbert Baier (SPD) glaubt nicht, dass die Standortdebatte noch einmal so hohe Wellen schlagen wird, wie in der jüngeren Vergangenheit. „Damals war regionales Denken noch ausgeprägter als heute“, bot er ein Stimmungsbild aus dem Kleinen Wiesental. Auf welchem Weg sich denn nun die Kreisräte bei ihrer Entscheidung bewegen sollen, wollte er wissen. Baier vermisste eine Empfehlung der Klinikspitze, die sich aber bewusst noch nicht positioniert habe, so Kliniken-Unternehmensberater Fred Andree.

Die Mitarbeiter und Ärzte: „Wir sehen große Chancen, Prozesse zu optimieren“, setzt der Dr. Christian Hamel, Chefarzt der Viszeralchirurgie, unter anderem auf Verbesserungen des Ablaufes bei Operationen. Außerdem könne bei der Notfallversorgung verstärkt interdisziplinär gearbeitet werden. Eine jahrzehntelange Mitarbeiterin des Krankenhauses in Lörrach plädierte klar für die Konzentration an einem Standort. Da sie sich eine weitere Verdichtung an der Spitalstraße schwer vorstellen kann, sei ein Neubau „das einzige, was tragfähig für die Zukunft ist“. Ingo Busch von der Gewerkschaft Verdi Südbaden sorgte sich um die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und Mitarbeiter. Die Beschäftigten würden sich „relativ offen und zukunftsorientiert zeigen“, versicherte Betriebsratsvorsitzende Katharina Merkofer. So seien die Mitarbeiter froh, dass sich etwas bewegt.

Welche Auswirkungen eine Konzentration an einem Standort auf die Gesamtzahl der Belegschaft hat, beantwortete der Kliniken-Geschäftsführer ohne Zahlen zu nennen. In einigen Bereichen gebe es wenig Auswirkungen, in anderen seien diese gegeben.

Die Bürger: Die grob kalkulierten Kosten von 158 Millionen Euro für einen Neubau wurden unterschiedlich bei den anwesenden Bürgern bewertet. „Ich finde es gar nicht so teuer“, wurde die Summe auf 30 Jahre bezogen. Kritik gab es durch einen Bürger aber auch. Es handele sich doch um einen „Schildbürgerstreich“, wenn kurz nach Eröffnung der ambulanten Onkologie neben dem Klinikgebäude dieses aufgegeben werde. An anderer Stelle wurde der Neubau wiederum als „verführerisch und faszinierend“ beschrieben. Sorgen über die Notfallversorgung wurden aber auch laut. Dass schon jetzt beispielsweise eine Blinddarm-OP nur in Lörrach erfolgen könne, unterstrich dabei der Kliniken-Geschäftsführer. Außerdem sei geregelt, dass der Notarzt innerhalb von 15 Minuten beim Patienten eintreffen müsse. Das bleibe bestehen.

Die Bewertung des Beraters und der Klinikspitze: Im Gegensatz zur langen Bauzeit bei einer Konzentration an der Spitalstraße in Lörrach könnte ein 500-Betten-Haus innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren gebaut werden, erklärte Krankenhaus-Unternehmensberater Andree. Theoretisch werde der Neubau komplett bezuschusst, doch tatsächlich müsse mit einem Eigenanteil von 50 Prozent kalkuliert werden. Um die jährlich im Land zur Verfügung stehenden Gelder für Neu- und Umbauten von 255 Millionen Euro gebe es einen starken Wettbewerb, unterstrich zugleich der Kliniken-Geschäftsführer. Seine Vorliebe für einen Neubau wurde bereits erkennbar. Die Variante A, also der Erhalt aller drei Standorte, bezeichnete Müller als ein Modell, das mit Zukunftsfähigkeit nichts zu tun habe. Dass bei einer Konzentration am bisherigen Lörracher Standort eine „Flickschusterei auf gehobenem Niveau“ betrieben werde, wie von FDP-Kreistagsfraktionschef so bezeichnet, ließ er bewusst so als Aussage stehen. Müller setzt auf eine Grundsatz-Entscheidung der Kreispolitik bis Herbst dieses Jahres. „Weiterhin positive Zahlen unter diesen Bedingungen zu schreiben, halte ich nicht für realistisch.“ Die 1450 Mitarbeiter benötigten eine Perspektive.

u  Die Reihe der Bürgerinformationsveranstaltungen wird am Montag, 4. Mai, in Schopfheim fortgesetzt. Beginn ist um 19 Uhr in der dortigen Stadthalle. Im Kurhaus Bad Bellingen ist am 5. Mai Beginn der Bürgerinformationen um 19.30 Uhr. Auf dem Campus Rheinfelden endet die Reihe am Mittwoch, 13. Mai (Beginn: 19 Uhr).

Variante A: Strukturoptimierung an allen drei Einzelstandorten – Generalsanierung beziehungsweise Ersatzneubau und Erweiterungen an allen drei Standorten. Geschätzter Investitionsbedarf: 89,5 Millionen Euro.

Variante B1 (konservativ und operativ): Reduzierung des Klinikbetriebs auf künftig zwei Klinikstandorte (Lörrach und Rheinfelden) – Zusammenlegung von Standorten mit entsprechenden Baumaßnahmen (Ersatzneubauten und Generalsanierung). Geschätzter Investitionsbedarf: 91,5 Millionen Euro (konservativ), 88,6 Millionen (operativ).

Variante B2 (konservativ und operativ): Reduzierung des Klinikbetriebs auf künftig zwei Klinikstandorte (Lörrach und Schopfheim) – Zusammenlegung von Standorten mit entsprechenden Baumaßnahmen (Ersatzneubauten). Geschätzter Investitionsbedarf: 106,9 Millionen Euro (konservativ) und 112,6 Millionen (operativ).

Variante C: „Klinikneubau an einem noch zu definierenden neuen Standort im Landkreis“: Zentralisierung aller Betriebsstätten an einem neuen Standort in einem neuen Zentralklinikum. Geschätzter Investitionsbedarf: 158,1 Millionen Euro.

Variante C2: Zusammenführung der heute drei Betriebsstätten am Standort in Lörrach, Aufgabe von zwei Klinikstandorten (Rheinfelden und Schopfheim) – Zusammenlegung mit entsprechenden baulich verdichteten und konzentrierten Baumaßnahmen. Geschätzter Investitionsbedarf: 88,9 Millionen Euro.

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