Kreis Lörrach Wohngruppe wird zur Familie

Die Oberbadische
Starten den Tag mit dem Gang zum Briefkasten: die Bewohner der Haus- und Lebensgemeinschaft im Georg-Reinhardt-Haus in Schopfheim. Foto: Sarah Trinler Foto: Die Oberbadische

PSG-Serie: Moderne Versorgungsformen in der stationären Pflege / Letzter Teil unserer Serie

Von Sarah Trinler

Pflegegrade statt -stufen, Stärkung der häuslichen Pflege, Grad an Selbstständigkeit ersetzt Zeitbedarf – durch die Pflegereform hat der Gesetzgeber den gesamten Pflegebereich umgestaltet. Aber auch die stationären Einrichtungen stecken im Wandel, wie im letzten Teil unserer Serie mit der AOK Hochrhein-Bodensee zum Pflegestärkungsgesetz II gezeigt wird.

Kreis Lörrach. Mit ihrem Rollator, auf dem ein kleiner Schlüssel liegt, läuft eine Bewohnerin zu den Briefkästen am Eingang ihrer Wohngruppe und zieht die Zeitung aus ihrem Fach. Es ist ihr tägliches Ritual zum Start in den Tag – das war es auch schon als sie noch in einer eigenen Wohnung gelebt hat. Mit der Zeitung auf dem Rollator läuft sie zum Frühstückstisch, wo schon einige ihrer Mitbewohner warten. Eine Altenpflegerin in Arbeitskleidung kommt hinzu – ohne sie wäre es fast nicht aufgefallen, dass dies hier eine Pflegeeinrichtung ist.

„Wir versuchen Normalität zu leben“, erklärt Geschäftsführer Martin Mybes das Konzept der stationären Haus- und Lebensgemeinschaft im Georg-Reinhardt-Haus Schopfheim, das vor drei Jahren aus einem klassischen Pflegeheim in einen Neubau mit kleinteiligen Wohngruppen entstanden ist. Heute leben 100 Bewohner in acht Wohngruppen, die heimische Namen wie „Belchen“, „Wiese“ oder „Feldberg“ tragen.

Jede Wohngruppe sieht anders aus, da die Bewohner nicht nur ihre eigenen Zimmer individuell einrichten, sondern auch Garderobe, Wohnzimmer und Gänge nach eigenem Gusto gestalten können. „Das Haus lebt von den Menschen, also sollen sie sich auch wohlfühlen“, sagt Einrichtungsleiter Stefan Schmidt.

Die Wohnzimmer zum Beispiel bestehen meist aus mitgebrachten Möbeln von Bewohnern. In den Wohngruppen wird gemeinsam über die Einrichtung entschieden. Da müssen dann auch schon einmal Kompromisse eingegangen werden – wie es in einer Familie, die gemeinsam unter einem Dach lebt, auch der Fall ist, erklärt Schmidt.

Während ein Bewohner der Hauswirtschaft an einem extra für die Senioren vorgesehenen Bereich außerhalb der Küche bei den Vorbereitungen für das Mittagessen hilft – jede Wohngruppe kocht und isst für sich, eine Großküche gibt es nicht – bügelt eine Bewohnerin die gewaschenen Geschirrtücher – auch die Wäsche wird in jeder Wohngruppe separat gemacht. „Die größte Gefahr im Pflegeheimalltag ist die Teilnahmslosigkeit der Bewohner, dann fühlen sie sich überflüssig“, sagt Mybes.

Der Geschäftsführer gesteht, dass viele der Bewohner noch recht fit sind und somit alle Angebote der Wohngruppe nutzen und sich einbringen können. Aber auch für Pflegebedürftige, die nicht mehr so aktiv sein können, sieht er die Hausgemeinschaft als Chance: „Die Kleingruppen kennen sich gut, und jeder wird von der Gemeinschaft getragen. Auch die Angehörigen lernen sich viel schneller kennen und ein Austausch entsteht.“

Laut Auskunft des Landratsamts Lörrach ist das Georg-Reinhardt-Haus in Schopfheim die bisher einzige Einrichtung im Kreis, die Wohngruppen anbietet. Vielleicht auch, weil die Durchsetzung dieser neuen Versorgungsform keine leichte ist. „Die Dezentralisierung im Pflegebereich wird bisher von politischer Seite nicht unterstützt. Man muss bedenken, dass wir mit unserem Konzept die klassische Altenpflege in Frage stellen“, sagt Mybes. Auch bei langjährigen Mitarbeitern sei der Paradigmenwechsel nicht gleich auf Zuspruch gestoßen. Wer zum Beispiel bisher in der Wäscherei tätig war, wurde für das neue Konzept zur Präsenzkraft (übernimmt die Organisation des Alltagslebens und des Haushalts) umgeschult. „Unsere Mitarbeiter können sich jetzt mehr einbringen – sie müssen sogar“, meint Mybes.

Das Ziel von Wohngruppen ist es, das Pflegerische nicht zu dominant werden zu lassen. So kommen auf fünf Pflegekräfte pro Ebene (zwei Wohngruppen) doppelt so viele Präsenzkräfte. Pro Wohngruppe gibt es dann noch eine Betreuungskraft, die Beschäftigungsangebote macht und mit den Bewohnern zum Beispiel auf den Wochenmarkt geht.

Das Georg-Reinhardt-Haus erreicht viele Anfragen von Senioren, die gerne in der Hausgemeinschaft wohnen würden, obwohl sie noch nicht pflegebedürftig sind. „Sie sind vom Konzept begeistert und möchten es erleben und mitgestalten solange sie noch können“, erklärt Schmidt. Es sei nicht einfach, diesen Menschen eine Absage erteilen zu müssen. Die Einführung des Pflegestärkungsgesetzes (PSG) II Anfang dieses Jahres habe das Problem noch verstärkt. Durch die Absenkung der Vergütung in den niedrigen Pflegestufen will der Gesetzgeber erreichen, dass ältere Menschen länger zu Hause gepflegt werden.

Das Georg-Reinhardt-Haus möchte sich daher um einen weiteren Bau vergrößern, in dem ein Mix aus ambulanter und stationärer Wohnform angeboten werden soll. Menschen, die noch keine vollumfängliche Pflege benötigen, sollen dann auch die Angebote der stationären Haugemeinschaft nutzen können.

Umfrage

Heizung

Der Ausbau des Fernwärmenetzes im Landkreis Lörrach nimmt Fahrt auf. Würden Sie, falls möglich, Ihr Haus an das Netz anschließen lassen?

Ergebnis anzeigen
loading