Kultur Auf falschem Schiff in falsche Richtung

Die Oberbadische
Ursula Andermatt bei ihrer Lesung im Riedlinger Theater im Hof. Foto: Walter Bronner Foto: Die Oberbadische

Ursula Andermatts Lesung aus den Liebesbriefen ihres Ex-Partners Thomas Brasch im Theater im Hof

Von Walter Bronner

Kandern-Riedlingen. Das Ambiente im Riedlinger Theater im Hof wirkte am Samstagabend wie eine sinnbildliche Kulisse zu einer außergewöhnlichen Lesung. Da war wie gewohnt die riesige Kastanie mit ihrem alles überspannenden üppigen Blätterdach. Doch genaueres Hinsehen offenbart, dass der herrliche Baum in jüngster Zeit stark unter der andauernden Hitze und Trockenheit, vor allem aber unter heftigen Attacken der heimtückischen Miniermotte zu leiden hat.

Dieser Anblick weckt rasch Assoziationen zu den Textinhalten, die die Schweizer Schauspielerin Ursula Andermatt vorträgt: an sie gerichtete (Liebes)briefe ihres Lebenspartners während sechs turbulenter gemeinsamer Jahre – der 2001 verstorbene Dichter, Dramatiker und Filmschaffende Thomas Brasch.

Die miteinander erlebte und erlittene Zeit im Spannungsfeld von tiefster Zuneigung und extremer zwischenmenschlicher Konflikte wird in diesen intimen, gelegentlich in origineller Reimkunst formulierten Briefen geradezu plastisch greifbar. Etwa in Sätzen, wie „ich will mich ganz in dich hineinverwandeln und dann wieder werden, der ich war und mich nicht wagte zu sein“.

Aber neben solchen Bezeugungen bedingungsloser Liebe gerät die Beziehung immer wieder in gefährliches Fahrwasser, das den Partnern das Gefühl gibt, auf einem „falschen Schiff in die falsche Richtung“ zu steuern. Nicht nur die unterschiedlichen beruflichen Orientierungen und die oft große räumlichen Distanz ihrer Engagements – er in Berlin, sie in Stuttgart – stellt das Paar vor große Belastungsproben, die Brasch mit reichlich Alkohol- und Drogen-Konsum zu kompensieren sucht. Desgleichen aber auch die (O-Ton Andermatt) „seltenen für beide guten Umstände“, wie das längere gemeinsame Zusammensein in Berlin, wo beide im Ringen um ihre Liebe vergeblich „die Form zu finden suchen, die keinen von beiden beschneidet“.

Braschs bedingungsloser Anspruch auf totalen Besitz und Andermatts nicht minder ausgeprägter Anspruch auf individuelle Freiheit lassen „die Abstände meiner Fluchten immer kürzer werden“. Und er erklärt sich das in einem Brief so: „Wir hatten verschiedene Vorstellungen vom Zusammenleben, man hat uns nicht gelehrt, damit umzugehen!“

Womöglich waren die Prägungen beider durch die „drei harten K“ ihrer Jugendjahre – ein strenger Katholizismus in der Klosterschule bei ihr und die nicht minder strenge Zucht im Kadetten-Internat bei ihm – mit ausschlaggebende Faktoren für die letztlich gescheiterte Liebesbeziehung, die dann jedoch in eine bis zu seinem Tod währende enge Freundschaft mündete. „Wir haben keinen Abgrund ausgelassen, keinen Höhenflug versäumt, nur dieses Dazwischen ist und kaum gelungen“, gibt Ursula Andermatt dem geliebten schwierigen Partner posthum zu verstehen.

Der in Riedlingen vermittelte Einblick in intimste private Sphären unter dem Titel „Sanfte Gewalt“ war denn auch alles andere als literarische Schonkost und womöglich eine Ursache dafür, dass – völlig ungewohnt in diesem einzigartige Kulturrefugium – an diesem Abend noch etliche Stuhlreihen unbesetzt blieben.

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