Kultur Kreative Künstlerin mit Charisma

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Lady und Powerfrau Ute Lemper Foto: zVg/Lucas Allen Foto: mek

Interview: Ute Lemper gastiert mit einem Streifzug durch die 20er Jahre im Burghof Lörrach

Lady? Ja, die Charakterisierung gefällt Ute Lemper schon. Doch vor allem ist die gebürtige Münsteranerin, die inzwischen seit über 18 Jahren in New York lebt, natürlich eine ebenso erfolgreiche wie wandlungsfähige Sängerin und Künstlerin, wie sie einmal mehr auch mit ihrem jüngsten Projekt beweist. Bevor die 53-Jährige nun mit dem Vogler Quartett und Pianist Stefan Malzew am Mittwoch im Lörracher Burghof einen musikalischen Streifzug durch die „Goldenen 20er“ der Weimarer Republik unternimmt, hat Christoph Forsthoff die Lemper zum Interview getroffen – nach einem schlaflosen Flug aus New York.

 Ihre Lebensmittelpunkt liegt seit langem in New York – was macht den Reiz dieser Stadt aus?
 New York hat mich frei gemacht von allen kleinbürgerlichen, provinziellen und nationalistischen Zügen, die in den europäischen Ländern existieren – ob nun in Deutschland, England, Frankreich, Italien oder Spanien. Nicht selten herrscht dort eine kleinkarierte Mentalität, die Menschen, die anders sind, rasch zu Außenseitern macht.

Und das ist in New York anders?
 Dort ist jeder anders, darf anders sein, anders aussehen und sprechen wie er will – und dies wird nicht beurteilt, da es einfach die Normalität ist, anders zu sein. Und das hat mich sehr frei gemacht im Kopf.

 Eine neue Freiheit im Denken hatten Sie sich wie viele andere auch von dem demokratischen Präsidenten Barack Obama erhofft – sind Sie am Ende seiner Amtszeit nun ebenso ernüchtert und enttäuscht wie viele US-Amerikaner?
 Enttäuschung und Ernüchterung stellen sich immer ein, wenn sich die Dinge nicht so schnell bewegen, wie man es gern hätte. Doch auch ein Präsidentenwechsel bringt nun einmal keine vollen Kassen mit sich, zumal in einer ökonomischen Krise. Doch auf jeden Fall hat er seine Ethik am richtigen Fleck.

 Sie sind also nicht von ihm enttäuscht?
 Ihn selbst betreffend nicht – enttäuscht bin ich, dass ihm die Hände gebunden gewesen sind und er all die Kompromisse hat eingehen müssen. Zudem ist Amerika gespalten: 50 Prozent sind reaktionäre, spießig religiöse Republikaner, die völlig abgedreht sind von der Welt. Denen geht es nur um ihre Vorteile und wie sie die Welt regieren und manipulieren können.
 
Lassen wir die Politik und widmen uns der Kunst. Zuletzt haben Sie sich sehr dem Tango zugewendet, treten mit Ihren Tangos nicht nur in Europa wie jetzt in Lörrach oder in den USA auf, sondern auch in Südamerika, der Heimat des Tangos – wie reagieren die Menschen dort auf die Mischung aus Brel, Weill und Piazzolla?
 Es gibt in Südamerika ein großes Publikum, das aus verschiedenen Gründen sehr interessiert ist an der europäischen Kunst und am europäischen Lied. Für diese Menschen bin ich die Nachkriegskünstlerin, die versucht, diese Welten zusammen-zubringen. Zumal ich ja auch viele Lieder auf Jiddisch singe – ein Dialog zwischen den Kulturen, der zu einem Teil meiner Mission geworden ist im Laufe der letzten 30 Jahre.

 Was Sie auch jetzt in Ihrem Programm „Paris Days, Berlin Nights“ zeigen. Haben Sie diese Rolle als Mittlerin zwischen den Welten bewusst angestrebt?
 Nein, anfangs nicht bewusst. Meine internationale Karriere begann ja 1987 mit meiner ersten Platte „Ute Lemper singt Kurt Weill“, die 50 Wochen lang die Nummer Eins in den Crossover-Charts in den USA gewesen ist und sich überall bis hin nach Japan sehr gut verkauft hat.

 Nur in Deutschland hat sich kaum einer dafür interessiert…
  …denn hier waren die Lieder aus der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ alte Kamellen. Doch international hat die Platte die damals noch als Nazi-Sprache stigmatisierte deutsche Sprache auf einmal wieder in einem anderen Licht erscheinen lassen: Die Sprache wurde in ihrer Poesie wiedererkannt, in ihrer Schönheit und Tiefe. Und so verbindet mich mit diesem Repertoire bis heute eine große internationale Geschichte, und ich habe es mir dann zur Mission gemacht, dieses Thema mit großem Respekt und Ehrlichkeit zu behandeln und eine Brücke zur Musik anderer Länder zu schlagen.

 Vermutlich auch ein Grund, dass Elke Krüsmann Sie in ihrem Buch „Endlich Lady! Älter werden muss nicht beige sein“ als Repräsentantin einer neuen, faszinierenden Frauengeneration bezeichnet. Nun kann ich Sie schlecht fragen, ob Sie sich auch so sehen, aber was macht diese neue Frauengeneration aus?
  Ich bin mir nicht sicher, ob man über die ganze Generation sprechen kann, denn natürlich kommt es auf den Lebensstil an. Aber generell gilt, dass uns von der Emanzipation der Weg schon bereitet war: Wir konnten von Anfang mitreden in der Männerwelt, und auch alle Berufe standen für uns offen.

Gleichberechtigung ist also heute Realität?
 Natürlich ist es für die Frau immer härter, Beruf, Kinder und Familie unter einen Hut zu bringen – weil nun mal die Frau die Kinder austrägt, und die Gesellschaft das auch so fördert. Aber in puncto politischer Offenheit und fairem Denken standen unserer Generation schon viele Türen offen, die wir auch mit viel Selbstbewusstsein durchschritten haben.

 Sie selbst zweifellos noch mehr als viele andere.
Ich bin manchmal vielleicht noch ein bisschen mutiger, weil ich einfach alles mache, was ich mir so vorstellen kann. Für mich gab es nie Tabus – etwa jetzt noch einmal ein viertes Kind: Da hätte jede Frau gesagt „Bin ich denn wahnsinnig“ – ich habe es einfach gemacht. Und so habe ich im Leben immer relativ angstlos die Herausforderung gesucht – und da ich keinen habe, der mir da reinredet, konnte ich diesen Intuitionen auch immer folgen.

 Dennoch erstaunt es den Außenstehenden ja schon: Ich selbst schwächle bereits mit 50 und einem Kind gelegentlich – wie schaffen Sie das mit vier Kindern?
 Wenn die jetzt alle klein wären, würde ich es auch nicht schaffen, dann wäre ich im Sanatorium (lacht). Aber die zwei großen sind ja in der Uni – die zwei kleinen sind schon hart, aber ich bin jetzt beim vierten Kind sehr gut organisiert: Ich habe ein Au Pair für den Zehnjährigen und eine super Nanny für den Kleinen, mein Mann hilft mit, die großen Kinder auch – der Laden läuft einfach.

Und Sie finden da auch noch Zeit für sich?
 Wenn ich auf Tour bin, dann habe ich auch Zeit, ein Buch und Zeitung zu lesen oder einen Film zu gucken. Insofern ist diese Balance von Familien- und Musikleben eigentlich ideal, denn ich muss schon mal die Tür zumachen und sagen können: Jetzt nehme ich mir mal Zeit für mich.

Zuhause gelingt Ihnen das also trotz aller perfekter Organisation dann doch nicht?
 Nein, diesen Luxus habe ich eigentlich nur auf Tour. Obwohl ich mir nun ein schönes Arbeitszimmer oben auf dem Dach eingerichtet habe, wohin ich dann auch am Tag mal entfliehen kann – aber gerade den Kleinen herumzutragen, das ist ziemlich anstrengend: Da tut mir schon der Rücken weh, das muss ich zugeben. (lacht)

 Eine Lady mit Rückenschmerzen also – sehen Sie sich selbst eigentlich auch als Lady, wie es in dem genannten Buchtitel assoziiert wird?
 Lady? Doch, ich denke schon, dass ich eine Lady bin, da ich auch Respekt und Anerkennung verlange, eine gewisse Stärke und Würde wie auch einen gewissen Stil repräsentiere – so als Lady, das finde ich schon nett.

 Gehört zu einer Lady auch Noblesse?
  Nein, das glaube ich eigentlich nicht, denn Noblesse oblige – und ich fühle mich zu nichts verpflichtet. Gerade das ist ja auch das, was mir in New York so gut gefällt, so dass ich dort überhaupt keine Form von Snobismus oder einem übersteigerten Selbstbewusstsein entwickle: Da ist alles so relaxt, und es ist auch völlig egal, wie alt jemand ist.

  Ich weiß, dass man eine Lady nicht auf das Alter anspricht…
 …das ist ja bekannt …

 …und von daher sei auch die Frage erlaubt: Wie sind Sie seinerzeit Ihrem 50. Geburtstag begegnet?
  Tja… eigentlich mit Erstaunen: Das gibt es doch nicht, dass ich schon 50 bin! Wie ist denn das passiert? Wo sind die letzten zehn Jahre hingegangen – ich bin doch gestern erst 40 geworden, heute werde ich 50… Gut, es ist einiges passiert: Im Prinzip fühle ich mich heute künstlerisch besser und freier…

  …abgesehen von den Rückenschmerzen…
  …ja, nur der Körper ist etwas müder als mit 40, das muss ich schon zugeben. Aber ansonsten lodert das innere Licht, die Flamme genauso stark wie mit 35 – ich weiß nicht, wo die Jahre geblieben sind. Ich fühle mich überhaupt nicht wie 53, das ist für mich eine unrealistische Zahl, das kann nicht sein: Da muss ich mich verrechnet haben.

Ute Lemper und das Vogler Quartett: „Paris Days, Berlin Nights“, Mittwoch,  5. Oktober, 20 Uhr, im Burghof Lörrach, www.burghof.com  

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