Lörrach Albtraum von Flucht und Verfolgung

Die Oberbadische

Premiere: Das Theater Tempus fugit bringt Anna Seghers beklemmenden Roman „Transit“ auf die Bühne

Von Beatrice Ehrlich

70 Jahre müsste man die Zeit zurückdrehen, um dem Albtraum von Flucht und Verfolgung in europäischen Städten nachzuerleben. Dort, wo heute so viele Menschen aus den Kriegs- und Armutsgebieten dieser Welt Zuflucht suchen. Daran erinnert Anna Seghers beklemmender Roman „Transit“, 1941 und 42 im Exil geschrieben und 1944 zum ersten Mal veröffentlicht.

Lörrach. Das Theater Tempus fugit hat ihn jetzt unter der Regie von Karin Maßen als eindrückliche szenische Lesung auf die Bühne des neuen Theaterhauses gebracht. Vieles aus Anna Seghers Roman ist brandaktuell und ließe sich ohne Probleme auf die heutige Zeit übertragen. Flüchtlinge, unterwegs von Land zu Land und von Stadt zu Stadt, die keiner wirklich haben will und die sich mit dem Warten auf Ausreisepapiere aufreiben. „Sie jagen Stempeln und Bescheinigungen nach, versuchen Visa und Transit zu ergattern. Sie lauschen auf einen Tipp, ein Gerücht. Sie warten. Sie harren aus. Sie sind getrieben von der Furcht.”

Den drei Lesern und Darstellern – Lilly Tiemeyer, Laura Huber und Anselm Müllerschön – gelingt es hervorragend, durch ihre intensive Interpretation die Zuschauer hineinzuziehen in den Hexenkessel einer brodelnden Stadt – Marseille – in der die Zahl der Flüchtlinge zeitweise die der Einwohner übersteigt.

Der Text, den die Schauspieler in Auszügen lesen und vortragen, gewinnt durch die Kürzung an Intensität und Unmittelbarkeit. Er spielt, obwohl scheinbar alle warten, in einer schnellen Zeit, in der manche, wie der Protagonist, von einem Tag auf den anderen erwachsen werden, andere vor der Zeit sterben, wie ein exilierter Dirigent aus Prag, der vergeblich dem Traum einer Kapellmeisterstelle in Venezuela hinterherjagte.

Das Szenenbild ist einfach, aber aussagekräftig: Die Darsteller sitzen in zum Publikum hin geöffneten Holzkisten, wie Frachtstücke auf einem Schiff. Das In- den Tag-Hineinleben, der ungewisse Status, die Beengtheit der Unterkünfte und die enervierende Gegenwart der anderen Flüchtlinge, Konkurrenten um die Gunst der Beamten ebenso wie um die wenigen Plätze auf auslaufenden Schiffen werden durch diese Anordnung schmerzhaft deutlich. Mehr als einmal droht das labile Gebilde unter dem hektischen Agieren seiner Insassen umzustürzen.

Der Ich-Erzähler, ein junger Mann, lässt sich treiben von dem ihm umgebenden Strom der Flüchtlinge, ohne zu wissen, wo es ihn hinverschlagen wird und warum. Nur in das Arbeitslager, aus dem er ausgerissen ist, will er nicht zurückkehren. Mit falschen Papieren und mit Hilfe alter Freunde gelangt er auf den Spuren eines Schriftstellers, dessen Koffer in seinem Besitz gelandet ist, nach Marseille, wo er die Bekanntschaft einer faszinierenden Frau macht.

Ebenso berührend wie Anna Seghers knappe, oft atemlose Sprache, ist die Intensität mit der die Schauspieler in die Rollen der ihnen anvertrauten Figuren schlüpfen. Ihr Mienenspiel, die Blicke und die durchdringende Sprache machen, trotz der aufgeschlagenen Bücher, die sie alle in der Hand haben, vergessen, dass es sich um eine Lesung handelt.

Die Darsteller werden eins mit ihrem Stück. Ein Stück, das den Zuschauer aufrüttelt, weil es drastisch vor Augen führt, wie dünn im Moment von Krieg und Flucht der Boden der Zivilisation werden kann. Nichts wird wieder wie vorher und das, was man gesehen hat, vergisst man nie mehr.

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