Lörrach Babylonisches Stimmengewirr

Die Oberbadische
Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

„Wintergäste“ : Sechs Schauspieler teilten sich live unzählige Rollen und Stimmen in der Hörspiel-Inszenierung „Unter dem Milchwald“

Von Jürgen Scharf.

Lörrach-Brombach. Polly Garter hat so viele Kinder wie Liebhaber (Tom, Harry usw.). Aber ihr liebster, Willi Winzig, liegt schon sechs Fuß tief unter der Erde. Was ist mit Jack Black, dem Schuster? Oder dem blinden Kapitän Cat? Was macht die strenge, unnahbare Lehrerin Gossamer Beyon? Und dreht Metzger Beynon wirklich Hunde durch den Wolf? Gar nicht zu reden von Mister Pugh, dem verhinderten Giftmörder...

Sie alle leben in einer walisischen Kleinstadt, einem gottverlassenen Fischernest, und treten auf in dem Hörspiel „Unter dem Milchwald“ des sprachmächtigen walisischen Vollblutdichters Dylan Thomas, einem Mann der Worte. In diesem Hörstück, das eigentlich ein Theaterstück hätte werden sollen (Nachdichtung: Erich Fried), gibt es 50 verschiedene Stimmen. Zuviel für eine inszenierte Lesung bei den „Wintergästen“.

Dramaturgin Marion Schmidt-Kumke hat sie auf annähernd 30 reduziert, aber auch so hört man in den 75 Minuten von sechs Schauspielern am Sonntagnachmittag im Werkraum Schöpflin ein schier babylonisches Stimmengewirr. Denn jeder der Sprecher hat verschiedene Rollen, liest gleich mehrere Stimmen, und jeder ist auch irgendwie Erzähler.

Die Hörspiel-Inszenierung war fein orchestriert. Wirklich ein „Spiel der Stimmen“, ein Hörplatz aus Stimmen, fast wie eine einzige Stimme: eine Sinfonie aus Worten und Geräuschen. Dazu die trunkene Sprache Dylan Thomas’ und die irren, traumhaft-grotesken Szenerien – sie schafften ein ganz spezielles Hörvergnügen. Zugegeben, mit einigen Irritationen für den Zuhörer, der sich erst mal durch die Multi-Stimmen durchhören musste.

Bald wird klar, dass dieser Prosatext zwischen Hörstück und Bühnenspiel schwankt, dass er keine Spielhandlung hat, sondern ein Stück über das Leben ist: eine lange Tages-Reise in die Nacht.

Die Klangcollage (Ton: Hannes Kumke) mit Meeresrauschen, Hähnekrähen, Glockengeläut und Orgelbrausen untermalte nicht nur das Hörstück, sondern half, die Atmosphäre des Dorfes anhand der Geräuschkulisse lautmalerisch zu erzeugen. So konnte der Zuhörer nach einiger Zeit die Figuren zuordnen, die in diesem walisischen Kaff einen Alltag mit Klatsch und Häme verbringen, wo es um Sehnsüchte, Neid und seelische Abgründe geht.

Die Darsteller der Personen zeichneten deren Charaktere mit Humor, verstellten Stimmen und Dialekten köstlich nach: Angela Buddecke singt als Polly Garter mehrere Strophen „Den kleinen Willi Winzig liebt ich mehr als sie“ zu einer frei improvisierten Melodie; Christian Heller träumt als blinder Käptn Cat von seiner Rosi, mimt Hochwürden Jenkins, der für die Gemeinde betet, ist der Organist, Mr. Morgan, genannt „Orgel-Morgan“, der zum Leidwesen seiner Frau immer die Orgel traktiert, und leiht zugleich seine Stimme Mr. Pugh, der seine Frau vergiften will und heimlich in dem Buch „Das Leben der Giftmörder“ liest.

Die blutjunge, leichtfertige Mae Rose Cottage (Sibylle Mumenthaler) liegt im Klee in der Wiese und zupft Pusteblumen: „Er liebt mich, er liebt mich nicht“. Emilia Haag und Stefan Saborowsky teilen sich Rollen wie Totengräber, Schuster, Wirtin, Briefträger, Metzger, Lehrerin. Die trinkfesten Männer treffen sich in Sindbads Seefahrerschenke.

Chantal Le Moign ist als Erzählerin das Verbindungsglied zu den einzelnen Stimmen und schafft auch stimmungsmäßig den Boden, dass die Schauspieler in die Szene kommen. Auf dem Tisch stand typischerweise flüssiges Gold: walisischer Whisky – was sonst?

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