Lörrach (bea). Henning Scherf, der ehemalige Bremer SPD-Bürgermeister und berühmtester WG-Bewohner der Republik, ist ein Vorbild für viele. Noch heute, mit 78, ist Scherf das lebendige Beispiel für die Botschaft, die er in seinen Büchern und Vorträgen vermittelt: Das Alter als eine Chance wahrzunehmen, sich darauf zu konzentrieren, was man noch erreichen kann, statt innerlich abzuschalten. Im Mittelpunkt seiner Lesung in der Lörracher Buchhandlung Osiander steht sein aktuelles Buch „Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“, das er zusammen mit Annelie Keil verfasst hat. Ein Thema, das auch in Lörrach auf großes Interesse stößt. Mit drei kurzen und prägnanten Geschichten legt Scherf die Grundlage für eine angeregte Diskussion mit dem Publikum, die nun folgt. Seine Schilderung der Trauerfeiern, die er für SPD-Genossen abhielt, die keiner Kirche angehörten, erscheint einfach und zugleich lebendig: Man habe im Kreis um den Sarg gestanden, er habe Arbeiterlieder ausgesucht, die gesungen wurden und Menschen, die dem Verstorbenen nahestanden dazu überredet, selbst das Wort zu ergreifen. „Man kann vieles selbst in die Hand nehmen“, plädiert er dafür, sich die Mühe zu machen für einen ganz auf die Persönlichkeit des Verstorbenen ausgerichteten Abschied. Die zweite Geschichte handelt vom Abschied von einer Freundin, die nicht sterben wollte und dennoch jedes Detail der Trauerfeier noch zu Lebzeiten vorbestimmt hatte. Die zentralen Bibelworte aus dem Buch Hiob, und wie der katholische Priester Zweifel und Verzweiflung an Gott zum Thema seiner Rede machte, wie er sogar, anspielend auf den Schauspielerberuf der Verstorbenen, Büchners Drama „Woyzeck“ zitierte, haben bei Scherf tiefen Eindruck hinterlassen. Seine dritte Geschichte ist ein spätes Bekenntnis, eine Geschichte aus seiner aktiven Zeit in der Politik betreffend: Damals war ein des Drogenhandels bezichtigter Afrikaner beim zwangsweisen Erbrechen der verschluckten Ware unter Polizeigewahrsam zu Tode gekommen. Scherf trug als Justizsenator dafür Mitverantwortung. Der Gesprächsbedarf ist groß, als nun die Fragerunde startet: Themen wie die Frage nach einem selbstbestimmten Ende, die Hilflosigkeit Pflegender dementen Personen gegenüber sowie die Frage, ob sich Hospizbegleitung und Palliativmedizin überhaupt jeder leisten kann, werden aufgeworfen. Scherf hat zu allem etwas beizutragen, oft illustriert mit persönlichen Erlebnissen und Begegnungen – es sind genau diese Themen, mit denen er sich in den vergangenen Jahren intensiv auseinandergesetzt hat. Seine Erfahrungen haben ihn dabei bestärkt in seiner Forderung, Alte, Kranke und Sterbende in die Mitte der Gesellschaft zu holen.