Lörrach „Die anderen wollen mich aufhängen“

mek

Der türkische Journalist Can Dündar setzt sich in Deutschland für seine verhafteten Kollegen ein. Am Donnerstagabend war er im Werkraum Schöpflin zu Gast.

Wenn Can Dündar in Deutschland auf türkischstämmige Bürger trifft, geht es ihm ähnlich wie früher in der Türkei: „Die einen wollen mich umarmen und Fotos mit mir machen, die anderen wollen mich aufhängen.“ Das vergangene Jahr sei das schlimmste in seinem Leben gewesen. „Ich habe meinen Job, meine Familie, meine Stadt und mein Land verloren“, sagt er. Vorläufig zumindest. Denn trotz aller Widrigkeiten gibt sich der türkische Journalist im Exil optimistisch.


Von Veronika Zettler

Lörrac-Brombach. Am Donnerstag sprach Dündar in Lörrach über Erdogan, die Türkei und Europa. Polizisten und Security-Mitarbeiter begleiteten die Veranstaltung im Werkraum Schöpflin. Am Eingang wurden sämtliche Taschen kontrolliert. Alle Zuhörer hatten sich namentlich und unter Angabe ihrer Wohnadresse anmelden müssen. Immerhin so viel ist sicher: Can Dündar hat Fans, die ihn innig verehren. Er hat aber auch zornige Feinde.

Der 55-jährige Journalist, Buchautor und Filmemacher sieht es durchaus als seine Aufgabe an, Diskussionen auszulösen. Schon bevor er über türkische Waffenlieferungen an islamistische Milizen in Syrien berichtete, eckte er mit unterschiedlichen Themen mal mehr, mal weniger an. Nicht überrascht sei er gewesen, als er im August 2013 als Kolumnist der türkischen Tageszeitung Milliyet gefeuert wurde. Zuvor hatte er regierungskritisch über die Gezi-Park-Proteste berichtet. Dündar wechselte zur Tageszeitung „Cumhuriyet“ in Istanbul, wo er im Februar 2015 Chefredakteur wurde. Dort erschien auch der Bericht über den sogenannten MIT Truck Skandal, der Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an Extremisten in Syrien beschrieb.
 

Kaum hatte Cumhuriyet den Preis der „Reporter ohne Grenzen“ bekommen, da wurden Can Dündar und Erdem Gül, Cumhuriyet-Redaktionsleiter in Ankara, im November 2015 verhaftet. Der Vorwurf: Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Dündar, der in Ankara und London Journalismus studiert hat, sieht das anders: „Die Regierung hat das Recht, etwas zu verbergen, und Journalisten haben das Recht, darüber zu berichten.“
 

Am 6. Mai 2016 wurde er zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Am gleichen Tag feuerte ein Attentäter Schüsse auf ihn ab. Dündar blieb unverletzt. Im Juni 2016 floh er nach Deutschland, wo er seither seine Arbeit fortsetzt. In Zusammenarbeit mit dem journalistischen Recherchebüro „Correctiv“ arbeitet er am Ausbau eines unabhängigen türkischsprachigen Nachrichtenportals mit dem Namen „Özgürüz“ („Wir sind frei“). Regelmäßig schreibt er für „Die Zeit“. Überdies ist er aktuell einer der gefragtesten Köpfe, wenn hierzulande über Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei diskutiert werden soll.
 

Dündar hat es sich zur Aufgabe gemacht, beharrlich an die inhaftierten Kollegen zu erinnern. Auch in Lörrach appelliert er an die Medien, international gegen Zensur einzutreten und Solidarität zu zeigen. In der Türkei sitzen aktuell 150 Journalisten im Gefängnis. Einer davon ist der deutsch-türkische „Welt“-Journalist Deniz Yücel, elf weitere gehören Cumhuriyet an.
 

Den Fragen der Zuhörer antwortet Can Dündar in Lörrach nach Kräften. Wiewohl auch er zu keinem Punkt eine sichere Prognose abgeben kann und keine Antwort hat auf die Frage, ob es bei der anstehenden Volksabstimmung Manipulationen geben wird oder ob im Falle eines „Neins“ ein Bürgerkrieg in der Türkei droht.
 

Freilich: Dündar hofft auf ein mehrheitliches „Nein“ beim Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems, das die Türkei nach seiner Auffassung zur Diktatur machen würde. „Der Ausgang des Referendums ist eine Frage von Leben oder Tod für uns“, erklärt er.
 

„Ein sympathischer Mann“, hört man Zuhörer mehrfach urteilen. Dündar wirkt keineswegs ängstlich, sondern entspannt, souverän und freundlich. Tatsächlich gibt es ein paar Gäste, die sich mit ihm fotografieren lassen wollen. Er zeigt keine Berührungsängste.
 

Ein türkischstämmiger Zuhörer will zum Thema Wahlkampfauftritte wissen: „Ich möchte gerne meine Landsleute hier hören - warum darf ich denen hier keine Frage stellen?“ Er klingt aufgebracht. Doch er rennt offene Türen ein bei Dündar, der mehrfach betont: „Regierungen dürfen die Meinungs- und Redefreiheit nicht einschränken.“ Und weiter: „Obwohl Erdogan die Meinungsfreiheit nicht achtet, sollte auch er hier sprechen können. Bei der Gegendemonstration würde ich aber in der ersten Reihe stehen.“ Ein Anhänger der Gülen-Bewegung ist er nicht: „Wenn diese Seite erfolgreich gewesen wäre, säßen wir auch im Gefängnis.“
 

„Warum aber hat Erdogan unter der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland so viele Anhänger?“, fragt jemand. Der Journalist hat eine Antwort parat: „Eure Integrationspolitik hat nicht funktioniert“. Zumindest schließt er das aus seiner Beobachtung, dass sich viele Türken auf Türkisch unterhalten, dass viele türkische Zeitungen lesen und türkische Fernsehsender schauen. Diese Medien indes seien Teil von Erdogans „Propagandamaschine“, so Dündar.
 

„Die Türkei hätte längst Mitglied der EU werden sollen“, ist er überzeugt. „Wenn sie 50 Jahre vor einer Tür stehen, die sich nicht öffnet, dann suchen sie sich irgendwann eine andere Tür.“


Mehr Fotos vom Gespräch mit Can Dündar in unserer Galerie

Umfrage

Bettina Stark-Watzinger

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich für Zivilschutzübungen an Schulen ausgesprochen. Damit sollen Schüler besser auf den Kriegsfall, Pandemien und Naturkatastrophen vorbereitet werden. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading