Von Guido Neidinger

Lörrach. Was sollte da noch schief gehen? Pfarrer und Protektor Thorsten Becker sang  zu Beginn der Premiere  des  Zunftabends am Mittwoch gemeinsam mit dem Publikum eine Narrenmesse. Mit derlei Beistand von oben liefen die Zunftmeister zu Höchstform auf. Sie legten  ein  Programm hin, dass man den darin auftretenden Schäferhund „Günter“ kurz und knackig zitieren möchte: „Wooow“. Es war  einfach köstlich.

Mit stehenden Ovationen wollte das Publikum das Ensemble gar nicht mehr von der Bühne lassen, obwohl die Show fast eine  halbe Stunde länger dauerte, als von Oberzunftmeister Stephan Vogt angekündigt. Aber  jede Minute davon war es wert, erlebt zu werden.

Wir kennen das Märchen von den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Sieben ist auch die  Zahl der spielenden Zunftmeister. Ja, es sind nur sieben Akteure, die das gut vierstündige Programm stemmen. Stephan Vogt, Andreas Glattacker, Ralf Buser, Philipp Buser, Klaus Ciprian-Beha, Hansi Gempp und  Karl-Heinz Sterzel schlüpfen in fast 50 Rollen  und verkörpern mehr als 40 real existierende  Personen – zumeist lokale und regionale Promis.

Und dafür genügt wahrlich keine zwergenhafte Leistung. Im Gegenteil: Der  Wandlungsfähigkeit der Zunftmeister gebührt die Note eins mit Sternchen. Jeder von ihnen hatte  einen  Berg an Text zu lernen. Auch wenn die Soufleusen ein ums andere Mal „vorsagen“ mussten: Die Akteure sind wahre Text-Monster.

Zum Glück zeigen sie ihr komödiantisches Können nicht hinter den sieben Schwarzwälder Bergen, sondern in der Alten Halle in Haagen – neun Mal und immer vor ausverkauftem Haus.

Allerdings hatten die Jäger der goldenen Pointe diesmal  leichtes Spiel. Die Lörracher Politik lieferte  ihnen frei Haus eine wahre Themenfülle. Daraus zauberten Ozume Vogt und Co. ein höchst kurzweiliges närrisches Menü. Ein Gang schmeckte besser als der andere. Nur ein bisschen Pfeffer fehlte ab und an. Die stets feine Ironie wirkte  mitunter arg weichgespült.

Mit „Holz hie – Holz her“ gelingt gleich zu Beginn ein hinreißender Brüller über die Hauger Holzsteigerig. Da zerbröselte  jegliche Zurückhaltung beim Premierenpublikum zu Sägemehl.

Gekonnt werden selbst neue und eher unbekannte Promis wie die städtische Fachbereichsleiterin Monika Neuhöfer-Avdic als „Holzprinzessin“ (fein gespielt von Stephan Vogt)  eingebunden. Die Prinzessin überreicht Ortsvorsteher Günter Schlecht (perfekt kopiert  von Andreas Glattacker) im Zuge der Sparmaßnahmen ein zehn Zentimeter großes Nordmann-Tännchen, das bis 2025  zum Richtbaum für die Brombacher Halle heranwachsen soll.

„Obe use“ thematisiert die Wohnungsnot in Lörrach  mit der vergeblich eine günstige Zweizimmer-Wohnung suchenden Sieglinde (burschikos gespielt von Klaus Ciprian-Beha).
Einen Ausflug zu den Basler Nachbarn bietet  „Ihstiege“ mit einer ereignisreichen Stadtrundfahrt und originellen Typen, bei denen die Japanerin, herzig verkörpert von Karl-Heinz Sterzel, herausragt.
Vor der Pause geht’s über die Wiese „Uff Raubzug“. Unter der Führung von Wikinger-Chefin Silke Herzog (Andreas Glattacker), im wahren Leben Brombacher Ortsvorsteherin, proben  die Brombacher den Broxit – also die Loslösung von Lörrach.

„De Fierdig“ bietet eine Mischung aus Kalauern, Kultur und Struwes Demokratiebewegung.

Im „Eurohort“ spielen Angela Merkel (Sterzel), Theresa May (Glattacker), Erdogan (Vogt), Blocher (Philipp Buser), Trump (Ralph Buser) unter der Betreuung von Tante Ariane (Ciprian-Beha) im EU-Sandkasten. Es ist die einzige weltpolitische Nummer. Sie gefällt durch pfiffige Dialoge und die  außergewöhnliche  Kostümierung. Einzigartig: Stephan Vogt als kleiner Spielverderber Erdogan.

D’Määrtwieber machen wieder bauernschlaue Politik am Marktstand.

Mit „Uff de Höchi“ gelingt   es,   dem Zunftabend mit vereinten Kräften die finale Krone aufzusetzen. Die Hüttengaudi auf der Tüllinger  Alm blickt in die Zukunft und zeigt, was aus dem Lörracher Leitbild geworden ist. Per  Seilbahn geht’s vom Stettener Bahnhof auf den Tüllinger. Dort betreibt Monica Rexrodt (Andreas Glattacker) eine Alm mit bestem Blick hinab  auf  Weil, damit die Lörracher wissen, was sie an ihrer Stadt haben.

Fassen wir zusammen: Bei der Zunft ist die Mannschaft der Star. Hansi Gempp fegt wie ein Derwisch über die Bühne. Andreas Glattacker spielt nicht nur sechs  Figuren perfekt. Genial sind seine Liedtexte – ein Aushängeschild der Zunft. Stephan Vogt agiert als Kopf der Truppe immer souveräner. Klaus Ciprian-Beha ist die perfekte und vielseitige Ulknudel im Team. Ralf Buser hat sich längst ins Team gespielt. Sein Sohn Philipp spielt erfrischend und  kann  ein Großer  der Zunft werden.

Die Zundelgirls sind zwar personell zum Quartett geschrumpft, ihr Auftritt in sexy Lederkostümen aber begeistert wie selten. Stadtspielmannszug und Cliquen-Abordnungen verleihen dem Abend eine traditionelle Note. Die Band The Nightshadows ist musikalisch top und kann auch improvisieren, zum Beispiel mit nicht einstudierten  sakralen Orgelklängen beim Vortrag des Protektors.

Nun aber genug gelobt: Es gab auch ein paar Mängel. Der eine oder andere Putzfrauen-Auftritt zwischen den Nummern ist zu lang, Perücken und Bärte sollten besser an den Mann „getackert“ werden, und die Akustik hatte zumindest an der Premiere zeitweise die Qualität eines Grammophons.

Das alles aber schmälert nicht die große Gesamtleistung – auch derjenigen hinter der Bühne: Lukas Grussenmeyer und Nico Vogt (Technik), Hans-Werner Schuldt und Andreas Kühn (Aufbau/Bühnenbild), Heike Geitlinger, Lilo Benz und Mary Fazis (Maske), Ellen Quercher und Andrea Rümmele (Soufleusen) sowie Bärbel Jung (Bar).

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