Lörrach Eine atemlose Hochtour

Die Oberbadische
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Wintergäste: Lesungen im Werkraum Schöpflin und im Ackermannshof Basel

Basel/Lörrach. Der Schauspieler als Sprachmaschine: Wie kann man diesen Text von Thomas Bernhard so virtuos lesen? Dies fragt man sich bei den Wintergäste-Events an den Spielstätten Werkraum Schöpflin und Ackermannshof Basel. Wie schafft es Peter Schröder, diese quälend wiederholenden Selbstgespräche in solche gesprochenen Taktungen zu fassen, wie seinen Redestrom so zu kanalisieren, dass der obsessive Stil Bernhards so faszinierend rüberkommt?

Ein gipfelstürmender Text, so massiv und gewaltig, dass man ihn noch am ehesten mit einem Bergmassiv vergleichen kann und die Lesung mit einer literarischen Bergbesteigung. Fast stolze 4000 Meter ist der Ortler in Südtirol hoch, ein Berg, um den es in der gleichnamigen Erzählung von Bernhard geht. Der mächtige Gipfel steht für Unerreichbares. Der Autor Thomas Bernhard ist nicht der Bergsteiger Reinhold Messner und sein Ortler mehr ein Fall für literarische Extremkletterer.

Bei der alpinistischen Route geht es nicht nur topografisch immer höher hinauf, auch sprachlich ist es eine atemlose Hochtour. Die beiden Protagonisten, zwei Brüder, quälen sich, berauschen sich sprachlich beim Aufstieg. Sie hassen den Ortler und gehen auf den Ortler. Sie hassen, was sie tun. Es ist ein An- und Abmarsch in die Erschöpfung. Wenn sie endlich bei der erhofften Sennhütte ankommen, die sie in negativer (Kindheits-)Erinnerung haben, findet sich nur noch ein Haufen Steine, eine verfallene Hütte.

Gegen Ende dieser psychisch anstrengenden Trekkingtour steigert sich der Sprecher in ein wahnsinniges Crescendo. Schröder kommt bei all den Tiraden nicht aus dem Sprechtakt. Er liest immer schneller, hektischer, gestenreicher, bis hin zum dramatischen Höhepunkt. Beherrscht die Effekte der endlosen Wiederholungen, was ja typischer Bernhard ist. Virtuoser kann man diese Sätze nicht auf die Sprechbühne bringen. Da stimmt jedes Wort.

Mit der Musik kontrastiert Marion Schmidt-Kumke den Sprechpart. Thomas Bernhard ist ja nicht einfach, und es war sicher ein größeres Wagnis, so einen Autor für eine inszenierte Lesung zu bearbeiten. Dass die erfahrene Dramaturgin ihrem bevorzugten Sprecher und vielbeschäftigen Wintergast mit der Musikerin Shirley Anne Hofmann zusammengebracht hat, war spannend.

Hofmann spielt auf dem Euphonium (Baritonhorn) und Akkordeon eigene Stücke. Hat sie doch schon für „Pu, der Bär“ Geschichten komponiert. Der Sound stimmt. Sie bläst, singt, orgelt, macht Geräusche. Auf der einen Seite also die sprachliche Gestaltungskraft des wortgenauen, sicheren Sprechers, der in allen Facetten diese existenzielle Geschichte durchleuchtet – gilt es doch, die teils eineinhalb Seiten langen Sätze zu strukturieren! –, auf der anderen Seite die teils sauber passenden Klänge. Eine Lesung nicht nur für Bernhard-Verehrer!

Amüsant, krass, trashig

So kann man es also machen, eine „klassische“ szenische Lesung. Man kann solche Virtuosenstücke aber auch anders machen. Wie Fiona Schreier, Nachwuchsdramaturgin mit „Carte Blanche“, die im Ackermannshof bereits am Donnerstag ihr „Herzprojekt“ umsetzen konnte: Rainald Goetz’ „Jeff Koons“. Es darf bezweifelt werden, dass diese lyrische Textfläche wirklich ein Theaterstück ist, denn sie ist handlungsfrei und eignet sich prächtig als inszenierte Textwelt. Die Wintergäste-Box wird hier zum Wortlabor.

Ein bisschen verweist das Stück auch auf Andy Warhol und seine Factory. Der Titel suggeriert den amerikanischen Künstler Jeff Koons, eine große Nummer auf dem Kunstmarkt.

Es geht um Kunst, Sex und Drogen. Den Künstler sehen wir hier zwischen Atelier, Galerie und Party: eine groteske Parodie auf die Vernissage mit einer lächerlichen Laudatio. Wie nun Fiona Schreier mit jungen Schauspielern, die sie kennt (Dorothea Mildenberger, Patrick Gusset, Dustin Hofmann und Robert Rozic) dieses Künstlermärchen auf die Bühne hievt, ist innovativ und experimentierfreudig. Nicht nur wird viel geredet und assoziiert, sondern Theater gespielt, gerappt, gesungen, gegrunzt, gewiehert (brr!), geschnalzt, getrampelt, die Stimme mit Mikrofon verstärkt: eine Lese-Performance, amüsant, krass, trashig.

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