Beim Thema Luftangriff auf Lörrach denken viele an den Zweiten Weltkrieg. Doch bereits im Ersten Weltkrieg gab es  Tote, Verletzte und Sachschaden durch feindliche Flieger. Der schwerste Angriff mit drei Toten fand vor 100 Jahren  im Oktober 1916 statt.

Von Kristoff Meller

Lörrach. „In der öffentlichen Wahrnehmung sind die  Bombenangriffe heute fast nicht bekannt“, erklärt Stadtarchivar Andreas Lauble, der sich intensiv mit den  Akten über die Bombenangriffe auf Lörrach und die Region beschäftigt hat. Für den Artikel „Kriegsalltag 1914-1918 in Lörrach“ von Waldemar Lutz im Jahrbuch 2014 steuerte Lauble seine Recherchen bei. Diese ergänzten die von Lutz untersuchten Zeitungsartikel sowie die Tagebucheinträge der jungen Lörracherin Elisabetha Rigling, die ihre Erinnerungen später aufgeschrieben hat (siehe separaten Artikel).

Die Nähe zur Front – das Trommelfeuer im Elsass ließ auch in Lörrach regelmäßig die Fenster wackeln – ließ  vor allem badische Städte zum Ziel feindlicher Angriffe aus der Luft werden.  Nach Müllheim am 23. August 1914 und Freiburg am 13. Dezember 1914  folgten ab 1915 auch  Karlsruhe,  Mannheim und Offenburg. Am 14. April 1915 überflogen erstmals  feindliche Flieger die Stadt Lörrach. Die Bevölkerung  blieb in großen Menschentrauben auf der Straße stehen, um  die Flugobjekte zu beobachten. Daraufhin wurde am 20. April 1915 in unserer Zeitung davor gewarnt, „in Haufen beieinander“ zu stehen und stattdessen gefordert, „sofort vollste Deckung im unteren Stockwerk des Hauses zu suchen“, falls sich ein Flugzeug nähern sollte. Nur einen Tag später gab es dennoch das erste Todesopfer zu beklagen: Der fünfjährige Robert Sulzberger wurde laut unserer Zeitung getötet, vier weitere Menschen  durch Bomben teils lebensgefährlich verletzt. Das eigentliche Ziel, der Bahnhof, wurde verfehlt. Das Flugzeug warf anschließend auch über Steinen und Hägelberg mehrere Granaten ab, bevor es die Schule in Kandern bombardierte und dabei ein weiteres Kind getötet wurde.

Diese Angriffe durch einzelne Flugzeuge waren jedoch keineswegs vergleichbar mit den großflächigen Bombardements  im Zweiten Weltkrieg. Zunächst wurden Granaten und kleine Bomben mit der Hand aus dem Cockpit einmotoriger Jagdflugzeuge geworfen. Entsprechend gering war die Anzahl der Abwürfe. Erst später kamen entsprechende Halte- und Ausklinkvorrichtungen für größere Bomben hinzu.

10. Oktober 1916:  Acht Bomben – drei Tote  
Die punktuellen Einschläge beschädigten zwar oft nur einzelne Häuser, hatten aber eine große psychologische Wirkung und forderten dennoch ihre Opfer. Am schlimmsten traf es die  Lerchenstadt im Oktober 1916, wie Elisabetha Rigling schildert: „In der Nacht von 10. auf 11. Oktober wurde unsere Stadt wieder durch feindliche Flugzeuge heimgesucht.“  Acht Bomben wurden abgeworfen und drei Personen getötet.

„Sonderbarerweise ertönten weder die Sirenen noch erfolgte ein Warnschuss“, schreibt Rigling. Getroffen wurden unter anderem das Hebelschulgebäude,  die Straße beim Hebeleck und der Hebelpark, wo später die laut Rigling „furchtbar verstümmelten Leichen“ von Dr. Grether und einer Verkäuferin gefunden wurden. Das dritte Opfer, der Portier des Hotels „Hirschen",  wurde vor der Wirtschaft am Hebeleck geborgen. Die Toten wurden unter großer Anteilnahme beerdigt. Rigling hat dazu notiert: „Die Angst vor dem nächsten Angriff verlässt einen nie. Es ist eine ewige Unruhe über den Menschen.“

Die Abwürfe von Bomben weiter hinter der Front waren völlig neu für die Bevölkerung und auch für das Militär so kaum kalkulierbar,  erklärt Andreas Lauble. „Die Bevölkerung hat gespürt, dass die Armee und die Stadt das nicht im Griff haben.“ Zumal die Angreifer aus der Luft   der Flugabwehr stets einen Schritt voraus waren: Die anfangs zur Abwehr genutzten Geschütze seien ursprünglich für Bodenziele gedacht und waagerecht ausgerichtet gewesen, entsprechend gering war die Trefferquote.  

Zahlreiche Akten und Zeitungsartikel schildern auch die nur mangelhaft umgesetzte Vorschrift der „Verdunklung“. Lange nicht alle Lörracher Fenster wurden durch dunkle Tücher verhüllt, und auch Straßenlaternen brannten, obwohl  für die Missachtung laut  Zeitungsanzeigen „strenge Strafen“ angedroht wurden.   

Die Alarmierung durch die  Militärposten auf dem Tüllinger und dem Turm der Röttler Burg blieb oft ebenfalls ohne Wirkung, da diese die Flieger erst sehr spät sehen konnten. „Das Vertrauen in die Alarmeinrichtungen ist auf das schwerste erschüttert“, beklagte sich der Gemeinderat beispielsweise am 13. Oktober 1916 nach dem Angriff mit drei Toten schriftlich beim Innenministerium, weil keine Alarmierung stattgefunden hatte.  

Das Stellvertretende Generalkommando teilte dem Innenministerium daraufhin mit, dass es keinerlei Meldung von der Front  gegeben habe, die Flieger hätten zum Anflug höchstwahrscheinlich Schweizer Gebiet genutzt. Indes: Die Annahme des Gemeinderats, „dass die dicht bei Lörrach gelegene Flugwacht dem Schutze der Stadt diene, ist irrig – für diesen Zweck liegt sie zu nahe. Soweit der Schutz der Stadt überhaupt möglich ist, wird er auf andere Weise bewirkt“, so das Schreiben. Für Lauble  „ein Offenbarungseid“ des Militärs: „Einen Schutz für die Stadt gab es nicht.“

„Einen Schutz für die Stadt gab es nicht“

Das Ministerium hatte außerdem bereits im Juli 1916 schriftlich vor Angriffen gewarnt: Es sei möglich, dass die Flugzeuge unbemerkt über die Grenze gelangen und „auch ihr plötzliches Erscheinen  nicht ausgeschlossen“ sei.

Als  „blinden Aktionismus“ bezeichnet der Stadtarchivar die lokalen Gegenmaßnahmen. Im Januar 1917 ging die Hilflosigkeit sogar soweit, dass die Stadtverwaltung überlegte, ein Gefangenenlager mitten in der Stadt zu installieren –  als lebendes Schutzschild. Eine entsprechende Anfrage an die  Stadt Karlsruhe, die das – erfolglos – praktizierte, hat Lauble in den Akten gefunden. Diese Idee wurde letztlich jedoch von höherer Stelle abgelehnt. Nicht weil es ethische Bedenken gab, sondern aufgrund der Grenznähe, so Lauble, da sich Gefangene im Falle eines Ausbruchs schnell in die Schweiz hätten absetzen können.

Siehe auch Artikel "Die meisten Fensterscheiben waren einmal"