Lörrach Hunger, Kälte und Gewalt

Die Oberbadische
Sie erzählten von Vertreibung und Flucht (v.l): Hubertus Langer, Herbert Priorr, Herausgeber Herbert Seilnacht sowie Paul und Bruno Rimkus. Foto: Ursula König Foto: Die Oberbadische

Literatur: Zeitzeugen berichten in der Buchhandlung Kastl über ihre Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg

Von Ursula König

Noch gibt es sie: Zeitzeugen, die von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg berichten können. Herbert Seilnacht hat die dramatischen Zeugnisse für die Nachwelt in einem Buch festgehalten: „Es geschah vor 70 Jahren“. Beteiligte Autoren lasen am Donnerstag in der Buchhandlung Kastl aus ihren Erinnerungen.

Lörrach. So groß war das Interesse, das die Stühle nicht ausreichten. Manche der Autoren hatten sich in Lörrach auf kommunaler Ebene engagiert, andere in der Kirchengemeinde. Es sei ein wichtiges Anliegen, ihre Erinnerungen für die Generation der Enkel festzuhalten, wurde zu Beginn gesagt: „Denn in zehn Jahren sind wir nicht mehr da.“

Krieg, Flucht und Vertreibung; das sind keine Themen, die der Vergangenheit angehören. Auch das wird an diesem Abend deutlich. Wenn die Erinnerung zurückkehrt an Hunger und Kälte; an das ohnmächtige Erleben von Gewalt und an die Ungewissheit einer Zukunft; dann gerät der Erzählfluss ins Stocken. Eine Hand wischt rasch über die Augen, während die Stimme brüchiger wird. Die Heimat mit Hof und Tieren zurücklassen, die Nachbarn und Freunde nicht mehr wiedersehen und der Verlust naher Angehöriger: Das sind Erlebnisse, die prägen. Und vielleicht auch stärker machen, wie Herbert Seilnacht andeutet.

Herbert Piorr, der frühere Brombacher Ortsvorsteher, beginnt damit, aus seinen Erinnerungen zu lesen, „auf alemannisch, trotzdem ich ein Preuß´ bin.“ Die Flucht von Ostpreußen über Dänemark nach Brombach dauerte vier Jahre. Sie begann an einem typisch ostpreußischen Wintertag bei Temperaturen von minus 25 Grad. In der Ferne war Kanonendonner zu hören. An Flucht hätte er nicht gedacht, bis es an der Tür klopfte. Der gepackte Leiterwagen stand im Schuppen bereit – für eine Fahrt ins frostige Ungewisse.

Hubertus Langer, Vorsitzender des Schlesierverbandes, erzählt von 10 000 Schlesiern, die in eisiger Kälte erfroren seien. Seine Vertreibung begann im März 1945 und sollte nicht die letzte sein. Geplünderte Fluchtwagen und ein nochmaliges Zurückkommen in die Heimat, „wo wir völlig rechtlos waren“, bestimmt den ersten Teil seiner Erinnerungen. Von der Außenwelt völlig abgeschnitten, „starb man entweder oder lebte.“ Die endgültige Vertreibung begann im Juni 1946. „Jeder packte sein Bündel. Es war ein Trauerzug wie bei einer Beerdigung.“

Auch die Brüder Paul und Bruno Rimkus blicken zurück: „Wir lebten wie die Steinzeitmenschen; ohne Radio und Uhr“, fassen sie ihre Flucht in kurze Worte. „Vorläufig“, so hieß es, sollte das Dorf verlassen werden. Tote Soldaten säumten die Straßen. Bis nach Gersbach führte der Weg der Bauernfamilie und später nach Stetten. Hier hatten die Brüder Glück. Denn sie wurden in der St. Fridolin Gemeinde gut aufgenommen und eingebunden.

Paul Rimkus zieht ein Fazit mit Bezug zur aktuellen Weltlage: „Nach mehr als 70 Jahren ist das Thema Flucht wieder zu einem Politikum geworden.“ Auch darauf wollen Autoren und Herausgeber den Blick lenken. Weitere Autoren des Buches sind etwa Willi Findling, Walter Schossig und Willi Spohn.

Umfrage

Heizung

Der Ausbau des Fernwärmenetzes im Landkreis Lörrach nimmt Fahrt auf. Würden Sie, falls möglich, Ihr Haus an das Netz anschließen lassen?

Ergebnis anzeigen
loading