Mehr als 300 Jahre nach der Premiere hat Molièrs „Der eingebildete Kranke“ nicht an Aktualität verloren: Die überspitzt dargestellten Figuren, die dennoch glaubhaft bleiben, ließen manche Zuschauer bei der Premiere der Burgfestspiele am Freitagabend Tränen lachen. Tom Müllers Adaption ist ein freches modernes Stück, das besonders die Zuschauer überrascht, die den Inhalt bereits kennen.

Von Martina Proprenter

Lörrach-Hagen. Eigentlich würde man Mitleid mit Argan (Oliver Kugel) haben. Stets ist der Protagonist bettlägerig, kann ohne Stock kaum gehen und spürt ständigen Schmerz. Da dieser weder real noch psychosomatisch sondern schlicht eingebildet ist, ändert sich der besorgte Zuschauerblick zur Belustigung. Sein geseufztes „Ach, ich kann nicht mehr, das wird mein Tod sein“, sorgt daher nicht für Mitleid, sondern Lacher. Hat er keine Beobachter, vergisst Argan schnell den Gehstock und die Zipperlein, richten sich die Blicke auf ihn, windet sich der Hypochonder meisterlich.

Sein Umfeld reagiert darauf unterschiedlich: Während Dienstmädchen Toinette (Karin Kolb) ihm Beine macht und sich mit seinem Bruder Béralde (Kurt Adlberger) verbündet, nutzen die Ärzte Dr. Diafoirus (Martin Klabund) und Dr. Purgon (Niels Dreiser) den vermeintlich todkranken als unerschöpfliche Geldquelle, verschreiben Pillen um Einläufe und Salben. Rein monetäre Absichten hat auch Argans zweite Ehefrau Béline (Nadja Rüsen). Bis Argan dies aber bemerkt, zieht er Tochter Angélique (Anna Wendel) samt Geliebtem Cléante (Judith Nestler) mit ins Unglück.

Tom Müllers moderne Adaption begeistert mit viel Wortwitz und ausdrucksstarken Darstellern. Philipp Borghesi etwa brillierte als vergeistigter Jungarzt Thomas Diafoirus, der den Weg aus dem Elfenbeinturm auch bei Liebesbekundungen nicht schafft. Neben altbekannten setzt Müller auch auf neue Akteure, insgesamt hat er das Ensemble stark verjüngt.

Schnelle spritzige Dialoge, die inhaltlich vom Original abweichen

Wer den Inhalt kennt, bemerkt bei dem temporeichen Spiel allem voran die geänderte Sprache. Denn die zahlreichen Adjektive, die Molière im Original aneinanderreihte, hat Müller weitestgehend eliminiert. Entstanden sind schnelle spritzige Dialoge, die auch inhaltlich vom Original abweichen. So echauffieren sich die Brüder Argan und Béralde über Molière und seinen negativen Blick auf die Ärzte, der geprägt von Spott ist. Für diese Unverschämtheit würden sie ihn auf der Bühne sterben lassen, lässt Müller seine Akteure sagen, was zu leisem Gekicher bei manchen Zuschauern führt. Denn die Rolle seines Titelhelden spielte Molière selbst, erlitt bei der vierten Vorstellung einen Blutsturz und starb – der Legende nach – für seine überzeugende Darstellung des eingebildeten Kranken gefeiert auf der Bühne.

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Kurzinfo:
„Der eingebildete Kranke“ von Molière, Regie Tom Müller, wird freitags und samstags bis 6. August auf Burg Rötteln aufgeführt, zudem an den Sonntagen 24. Und 31. Juli. Beginn jeweils 20.15 Uhr. Reservierungen unter Tel. 07621/578 90 04 oder 578 90 06. Mehr unter www.burgfestspiele-roetteln.de.