Von Kristoff Meller
Lörrach. Heute vor genau 70 Jahren, am 24. Februar 1945, erlebte der Lörracher Ortsteil Brombach den wohl schwärzesten Tag in seiner Geschichte. Bei einem allierten Bombenangriff, der besonders der Rüstungsfirma Teves galt, wurden mehr als 40 Menschen getötet und über 100 verletzt. Zahlreiche Häuser wurden zerstört. Zwei Zeitzeugen erinnern sich.

Der 24. Februar 1945  sei ein sonniger Samstag gewesen, erzählt der 80-Jährige Hanspeter Seilnacht. „Der Himmel war ganz klar.“ Der damals Zehnjährige war bereits 1937 mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern ins Nebengebäude der Villa Feer am Haagener Bahnhof gezogen, wo heute unter anderem das Jazztone untergebracht ist. Seilnachts Vater war als Schlosser schon früh eingezogen worden und sei ein gefragter Mann gewesen – von Rostock bis Afrika. Seine Familie konnte er bei seinem Arbeitgeber, dem Fabrikanten Feer unterbringen.
 
Hanspeter Seilnacht: „Der Ernst der Lage war mir zuerst überhaupt nicht bewusst.“
 
Am Nachmittag des  24. Februar befand sich Hanspeter Seilnacht gerade auf dem Rückweg vom Einkaufen in Haagen, als er gegen 15.40 Uhr plötzlich die brummenden Motorengeräusche von der Lucke her hörte. Im kurzen Vermerk in der Brombacher Ortschronik (siehe Infokasten) ist von „circa zwölf Bombern“ die Rede, Hanspeter Seilnacht zählte  deutlich mehr: „Immer wenn Flugzeuge kamen und ich im Park der Villa Feer gespielt habe, zählte ich die einzelnen Flieger. Doch so viele   waren es zuvor nie. Ich sehe die Bomber heute noch vor mir. Ich habe drei Formationen à acht Flugzeuge gezählt. Der Ernst der Lage war mir dabei zuerst überhaupt nicht bewusst. Die vielen silbrigen Körbe, die über mir ausgeklinkt wurden, hielt ich zunächst für kleine Flugzeuge.“
 
Erst als diese „mit furchtbarem Getöse“ rund um den wenige Hundert Meter entfernten Brombacher Bahnhof und die Firma Teves explodierten, realisierte Seilnacht, was da gerade passierte. Er rannte los in Richtung Villa und erreichte gerade das Hinterhaus, als die Bomber bereits zurückkamen. „Meine Mutter stand im Tor für die großen Kutschen und hat mich gerufen, da bin ich losgerannt.“ Zwischen den drei Kutschen aus dem 19. Jahrhundert suchen bereits seine Mutter, Geschwister und die Nachbarsfamilie Schutz. „Meine Mutter hat mich reingezogen, und dann ging auch schon das Getöse wieder los“, erinnert sich Seilnacht. „Die Steine und Splitter sind nur so umher geflogen und prasselten gegen die Wand und auf die Dächer.“    
 
Erst als die Motorengeräusche in der Ferne verhallt waren, trauten sie sich hinaus ins Freie:  „Vor dem Kutschentor lehnte ein zerfetztes Fahrrad, daneben lag ein tellergroßer Bombensplitter. Wenn ich wohl nur ein paar Sekunden später am Tor gewesen wäre, hätte mich dieser erwischt“, sagt Seilnacht und hält einen Moment inne. Doch es blieben alle unverletzt. Auf dem Weg hinüber in den Luftschutzkeller der Villa Feer bemerkte Seilnacht „viele tote Vögel und große rechteckige Quadersteine“, die verstreut im Park lagen. „Große Rauchsäulen“ stiegen über Brombach auf. Das Haus seiner Großmutter an der Ecke Karl-/Lörracher Straße war unversehrt, das gegenüber hingegen  völlig zerstört: „Das war nur noch ein großer Schutthaufen.“
 
Albert Picen: „Ich bin erst im Keller wieder zu mir gekommen.“
 
Auch Albert Picen erlebte als Junge von zwölfeinhalb Jahren das Ereignis hautnah. „Wir haben am Morgen noch Holz gemacht und sind  kurz davor Zuhause in Hauingen angekommen“, erinnert sich Picen. „Ich hatte Geld bekommen und sollte gerade Bier holen gehen. Als ich vor dem Haus stand, hat  es auf einmal angefangen zu brummen.“ Seine Pflegemutter rief ihm noch hinterher, er solle zurückkommen, doch da habe das Bombardement bereits begonnen. „Als wenn jemand einen Sack voll Nüsse ausleert“, beschreibt Picen das Geräusch. Dann erinnert er sich an nichts mehr. „Wahrscheinlich war ich grad wieder auf dem Weg zurück ins Haus“, sagt Picen. „Ich bin aber erst  im Keller wieder zu mir gekommen.“ Eine rund 100 Kilogramm schwere Sandsteinplatte, die laut Picen vermutlich vom nahen Brombacher Bahnhof herüberge schleudert worden war, durchschlug  das Dach, dennoch blieben beide unverletzt.
„Als wir uns wieder gefangen haben, sind wir nach draußen um zu helfen“, erzählt Picen.

Auf der Straße türmten sich die Schuttberge auf. „Da wäre ich nicht lebendig rausgekommen, wenn ich weitergelaufen wäre“, sagt Picen nachdenklich. Rund um das Bahnwärterhäusle von Ernst Strütt sei es besonders schlimm gewesen. In der Teves-Fabrik habe es außerdem stark gebrannt. „Dort hat es auch die meisten Toten gegeben.“ Die Häuser entlang der Bahnlinie seien fast alle zerstört gewesen. Bahnwärter Strütt überlebte den Angriff jedoch mit wenigen Schrammen, weil er sich gerade auf dem Hof befunden habe. Auch ein fünfjähriger Junge hatte einen besonderen Schutzengel: „An einer Stelle lag eine tote Kuh, darunter befand sich ein Bub, der wie durch ein Wunder überlebt hatte“, erinnert sich Picen. Dieses kleine Wunder bestätigte  auch die Tochter des Bahnwärters in einem Artikel unserer Zeitung  vom 24. Februar 1995.  
 
Fast täglich seien Flugzeuge durchs Tal geflogen, erinnert sich Picen. „Wenn das Wetter gut war, sind sie oft den ganzen Tag über geflogen, und die Sirene hat fast immer geheult. Wir haben das irgendwann nicht mehr so ernst genommen“, sagt Picen. „Es hat aber auch niemand damit gerechnet, dass plötzlich so viele Bomber kommen,  um Brombach anzugreifen.“

Auszug aus der Brombacher Ortschronik:
„Auch in unserem Dorf schlugen am 24. Februar 1945 schwere Bomben Menschen und Gebäude zusammen. Die Fliegerstaffel – circa zwölf Bomber – flog an dem sonnigen Nachmittag von der Lucke her über unseren Ort. Die ersten schweren Brocken fielen rings um den Brombacher Bahnhof, zerstörten einige Wohnhäuser und trafen Teile des Betriebs „Teves“.
 
Auf dem Rückflug vom Dinkelberg her warfen die Flieger die restlichen Bomben auf das Unterdorf. Die Häuser Kiefer, Gräßlin, Wiedenbach, Betting und Albert wurden getroffen. Frau Knoll, deren einziger Sohn als Offizier im Ersten Weltkrieg gefallen ist, wurde in der Haagener Straße zu Tode getroffen, der Vater Enkerlin im Schopf an der Karlstraße zusammengeschlagen; im Bahnhofsviertel zählte man 40 Tote, meist Arbeiter der Firma Teves, darunter zwei Italiener, die aus der Görtzer Gegend stammten. Gegen 100, teils Schwerverletzte, brachten die Sanitäter ins Volk-schul-Lazarett.“ (Aus „Brombach 786 – 1972“ von Fritz Schülin)

Siehe auch Artikel Der Bahnhof Haagen als zweites Ziel?