Von Veronika Zettler Lörrach. „Madame Kupka among Verticals“ (Madame Kupka zwischen Vertikalen), so heißt ein 1911 entstandenes Gemälde von Frantisek Kupka. Dargestellt ist ein Frauengesicht, das zwischen vielen senkrechten Farbbalken beinahe verschwindet. Als der Musiker Ben van Gelder das Werk im Museum of Modern Arts in New York betrachtete, fielen ihm formale Parallelen zur eigenen Arbeit auf. Seine neue, mittlerweile dritte CD nimmt Bezug auf Kupkas Bild. „Among Verticals“ heißt das Modern-Jazz-Album, dessen Stücke Ben van Gelder am Freitag im Jazztone vorstellte. Der Bezug zum Gemälde ist stimmig. Wie das Bild von Kupka verbindet auch Ben van Gelders Musik Abstraktes mit Figürlichem. Wie das Bild schillert auch van Gelders Jazz in Farben und Stimmungen. Fünf Musiker sind es, die im Jazztone die musikalischen Assoziationen zu Madame Kupka und den vielseitig interpretierbaren Vertikalen ziehen: Neben dem Altsaxofonisten van Gelder, vom dem auch die Stücke stammen, sind das Peter Schlamb am Vibraphon, Sam Harris am Piano, am Schlagzeug Craig Weinrib und am Bass Rick Rosato. Man hört, dass die fünf seit Jahren zusammenarbeiten und sich musikalisch gut kennen. Die Gruppe funktioniert wie eine organische Einheit, in der jeder auf jeden hört und reagiert. Glücklicherweise sind jedem dieser technischen Könner ausgedehnte Solopassagen zugedacht. So kommen auch Zuhörer auf ihre Kosten, die mit abstrakten Musikmotiven eigentlich nichts am Hut haben. Der 28-jährige Ben van Gelder stammt aus Holland. Nach dem Studium in Amsterdam ging er nach New York, um sich an der New School University bei Lehrern wie Lee Konitz und Mark Turner den Feinschliff zu holen. In New York ist er bis heute geblieben. „Among Verticals“ versteht er als Hommage an den Big Apple und als Rückblick auf seinen nunmehr zehnjährigen Aufenthalt in New York. Es ist ein vielschichtiger, moderner Jazz, den sein Quintett im Jazztone abliefert. Ein filigranes Geflecht aus Querverweisen, das dem Zuhörer alle Aufmerksamkeit abverlangt. Spannungsbögen entstehen zwischen freier Improvisation und durchdachter Komposition. Das Altsaxofon pendelt bei durchgängiger Klangpräzision und feiner Linienführung zwischen lyrischen und expressiven Bildern. Mal verweist Pianist Sam Harris auf Arnold Schönberg, mal gehen Piano und Vibraphon einen grandiosen Dialog ein, der an das Zusammenspiel von Chick Corea und Gary Burton erinnert. Vibraphonist Peter Schlamb fasziniert mit akkordischem Spiel in erstaunlichem Tempo. Schlagzeuger Craig Weinrib entfaltet ein spektakuläres Schlagzeugsolo auf den Beats einer marschkapellenartig dröhnenden Basstrommel. Hier eine minimalistische Tonsetzung, dort eine kraftvolle Exposition. So reiht das Quintett Perle an Perle. Der Maler Frantisek Kupka hatte in seinem Gemälde den Angriff des Abstrakten auf das Figürliche dargestellt. Ben van Gelder beweist, dass beide zusammengehören.