Von Elena Polnau
Lörrach. Menschenmassen, Zelte und Abfälle soweit das Auge reicht – die Lörracherin Andrea Benner und ihr Sohn Yukon entschieden sich angesichts der dramatischen Situation in Flüchtlingslagern auf dem Balkan kurzerhand mit Greenpeace Schweiz auf die Reise nach Opatovac in Kroatien zu gehen, um das zu tun, was nötig ist: Helfen.

Ein großes, leeres Gelände ohne Infrastruktur fanden die beiden Helfer  in Opatovac direkt an der Grenze zu Serbien vor. „Innerhalb  kürzester Zeit mussten Polizei, Militär und das Rote Kreuz ein Flüchtlingsdurchgangslager aus dem Boden stampfen“, berichtet Andrea Benner. Die Zustände seien verheerend gewesen.
 
„Am ersten Tag waren es 50 Flüchtlinge aus aller Welt, die meisten kamen aus dem sogenannten ‘no man’s land’“, erzählt Benner. In diesem schmalen Streifen zwischen dem kroatischen Dorf Tovarnik  und der serbischen Stadt Šid herrschten furchtbare Zustände, manche Flüchtlinge hatten mehrere Tage in der Zone verbracht. Teils seien Sie über 17 Kilometer zu Fuß unterwegs gewesen, hatten keine Schuhe und   blutige Füße. Durchnässt und ohne warme Kleidung wurden die Flüchtlinge dann zur Registrierung in das Durchgangslager in Opatovac gebracht.
 
Die Zahl der Flüchtlinge wuchs  stetig, innerhalb von neun Tagen stieg die Anzahl der Ankömmlinge auf circa 8000, berichtet Andrea Benner. „Diese Masse an Menschen überforderte Polizisten und Helfer.“ Zu wenig Decken, Zelte und Toiletten waren im Lager vorhanden, so wurden auch die Hygieneverhältnisse immer schlimmer. „Mit jedem Tag wurde die Situation aber etwa geregelter, da die Polizei aus den vorangegangen Tagen lernte  und versuchte, die Lage zu verbessern.“
 
Geleitet wurde das Lager von den kroatischen Behörden und dem Roten Kreuz, sie waren als einzige Organisationen zugelassen. Viele  andere  ehrenamtliche Helfer verteilten Essen und Kleidung an die Menschen vor dem Lager, später wurden sie allerdings von der Polizei weggeschickt, erzählt Andrea Benner.  
 
Drinnen sah die Lage teilweise etwas besser aus: „Manchmal half  schon ein  Lächeln, oder wenn man ein paar aufmunternde Worte mit den Flüchtlingen wechselte“, sagt Andrea Benner. „Wir persönlich hatten nur positive Begegnungen in den sieben Tagen  in denen wir dort waren. Mit der einheimischen  Bevölkerung hatten wir wenig Kontakt, diejenigen die wir getroffen haben, waren aber alle zuvorkommend.“ Die Hilfsbreitschaft der Bevölkerung komme daher, dass bis 1995 in Kroatien selbst Krieg herrschte und viele selbst einmal Flüchtlinge waren.
 
Die Situation, die im Durchgangslager für die Flüchtlinge herrschte, fasst Andrea Benner  als „unmenschlich“ zusammen – trotz kleiner Verbesserungen. Diese Menschen hätten lange Strecken zurückgelegt, um danach in ein mit Stacheldraht umringtes Gelände eingesperrt zu werden. Teilweise seien Menschen über zwei Tage dort gewesen, obwohl das Lager nur  für einen kurzen Aufenthalt vor der Weiterreise dienen sollte. „Es kamen immer wieder Busse: Alle wollten in den Bus, obwohl niemand wusste, wo sie dieser  hinfährt“, erläutert Andrea Benner.
 
Ein Stück Menschlichkeit
 
Viele Flüchtlinge seien traumatisiert und  ängstlich gewesen, einige bräuchten  dringend Hilfe. Andere seien  gelassener mit der schwierigen Situation umgegangen. Unter dem enormen Informationsmangel und der Tatsache, im Lager eingesperrt zu sein, litten aber alle Menschen.  
 
„Ein Stück Menschlichkeit in dieser unmenschlichen Situation konnten wir erleben, wenn Familien im Lager  wieder zusammengeführt wurden, die zuvor auf der Fahrt auf verschieden Busse verteilt waren. Ein Mann fand beispielsweise seine Mutter im Rollstuhl in der Menschenmasse im Lager wieder“, erzählt Andrea Benner.
 
In den hektischen Situationen blieb für die Helfer  nicht viel Zeit für Unterhaltungen mit den Flüchtlingen, berichtet Yukon Benner. „Ich lernte einen jungen Mann kennen, wir tauschten unsere Facebooknamen. Einige Tage später erhielt ich eine Nachricht von ihm, dass er jetzt in Deutschland in der Nähe von Bielefeld untergekommen sei.“ Seine Mutter ergänzt: „Solche Nachrichten freuen uns natürlich sehr. Nicht nur die Flüchtlinge selbst, sondern auch wir wissen nicht, was mit den Menschen dort passiert – wo sie hinkommen. Da ist es schön zu hören, dass es einige nach Deutschland geschafft haben und dort eine neue Chance erhalten.“
 
Wenn es Verständigungsprobleme gab, halfen andere Flüchtlinge  beim Übersetzen. „Die Meisten von ihnen sind sehr gebildet, ein Mann war gerade an seinem Master und informierte sich, ob er auch in Deutschland die Chance hat, weiter zu studieren“, sagt Andrea Benner. Alle seien sehr dankbar  gewesen und hätten die Helfer mit viel Respekt behandelt.
 
Nach ihrer Rückkehr aus dem ungewöhnlichen Urlaub steht für die beiden Lörracher fest: „Wir würden jederzeit wieder hinfahren – auch für längere Zeit. Es ist zwar schwierig, und man braucht unbedingt jemand zum Reden, aber diese Menschen brauchen dringend Hilfe. Sie sind in großer Not und haben keinen anderen Ausweg, als zu flüchten. Niemand nimmt freiwillig solche Zustände auf sich.“