Chorkunst in Perfektion, so lässt sich das knapp zweieinhalbstündige Programm zusammenfassen. Eine feierliche Einstimmung auf die Weihnachtszeit war es allemal. „Russische Weihnacht“, unter diesem Titel sorgte der Moskauer Kathedralchor am Freitag im vollen Burghof für Gänsehaut. Von Veronika Zettler Lörrach. 19 stimmgewaltige Sänger und 21 nicht weniger stimmgewaltige Sängerinnen stehen auf der Bühne, alle schwarz gekleidet, die Männer in Anzügen, die Frauen in Samtkleidern. Man hört: Das Ensemble unter der Leitung von Nikolay Azarov hat sich der Vollkommenheit des Klangkörpers verschrieben. Vom ersten Lied an fasziniert der Kathedralchor mit seiner stimmlichen und stilistischen Bandbreite. Etliche glänzen im Laufe des Abends als Solisten. Perfektion entsteht im Wechsel von kraftberstendem Fortissimo und fragil tönenden Pianissimo-Passagen. Ultratiefe Bässe und dramatisch donnernde Tenöre verschmelzen mit hinreißend zarten Frauenstimmen zum harmonisch schillernden Klangteppich, der bei den Zuhörern Bilder von endloser Weite, von eisigen Wintern und warmen Stuben erzeugt. Es ist ein Fest des Chorgesangs, eine Hommage an die jahrhundertealte Tradition russischer Chormusik und zugleich ein versiertes Ausloten all ihrer Möglichkeiten. Die Ensembledisziplin muss enorm sein. „Zeitlos“. „Engelsgleich“. „Wie aus anderen Sphären“. So und ähnlich urteilen die Besucher in der Pause. Der erste Konzertteil ist den geistlichen Liedern gewidmet und spannt vom russischen Kirchenmusikgenie Dmitry Bortnianski (1751-1825) über Sergei Rachmaninow (1873-1943) bis hin zu Vladimir Beljaew (Jahrgang 1955) einen Bogen durch ganze Epochen. Der zweiten Teil gehört den populären volkstümlichen Weihnachtsliedern, den sogenannten Koljada-Liedern, mit einem munteren Wechsel zwischen wehmütigen und ausgelassen fröhlichen Stimmungsbildern. Unter den immerhin 15 Stücken der zweiten Hälfte ist etwa das bekannte „Schtschedryk“ von Mikola Leontovitsch, das den Gesang der Schwalbe imitiert, während wenig später auch Georgi Swiridows „Geschwätzige Elster“ die Stimme erhebt. Der Moskauer Kathedralchor zählt zu den international etablierten Ensembles. Er ist einer von insgesamt sieben Chören der im Jahr 1991 auf Basis der Moskauer Chorfachschule gegründeten Chorkunstakademie (die insgesamt mehr als 200 Mitglieder treten zu besonderen Anlässen gemeinsam auf, das Repertoire der Ensembles ist auf über 30 CDs zu hören). Der künstlerische Leiter Nikolay Azarov (Lehrtätigkeit an der Moskauer Chorschule seit 1989) sorgt für internationale Konzertpraxis der Studierenden, aber auch dafür, dass die Zuhörer immer wieder in den Genuss weniger bekannter Partituren kommen. Zum Schluss und nach einigem tosenden Applaus gibt es zwei auf deutsch gesungene Zugaben: „Stille Nacht“ und „O Tannenbaum“. Trotz Azarovs Aufforderung möchten die Zuhörer nicht so recht in die Klassiker einstimmen - zu schön ist es, diesem Chor einfach nur zuzuhören.