Von Dorothee Philipp Lörrach. Eine Hommage an den 2008 verstorbenen schwedischen Musiker Esbjörn Svensson, ein koreanischer Blues, ein Abstecher zu Nat King Cole, dann ein französisches Chanson und Randy Newman in einem seiner romantischen Momente - was sich auf den ersten Blick als abenteuerliche Mischung von Musikstilen aus aller Welt liest, bekommt in der Version des koreanisch-schwedischen Duos Youn Sun Nah (Komposition / Vocals) und Ulf Wakenius (Komposition / Gitarre) eine neue Dimension. Das Publikum im Lörracher Burghof ging begeistert mit. Der experimentierfreudige Stil der beiden subsumiert mit Leichtigkeit alles, was an musikalischen Genres um die Welt vagabundiert, unter einem ganz eigenen Blickwinkel, und man würde sich nicht wundern, wenn auch Wagner dabei wäre. Denn Youn Sun Nah verfügt über eine klassisch ausgebildete Stimme von unglaublichem Umfang, die so wandelbar ist, dass man zeitweise meint, verschiedene Frauen singen zu hören. Da ist die Wagner-Oper genauso drin wie die Rock-Röhre, die mädchenhaft gehauchte Ballade wie der schrille Urschrei. Und sie probiert hemmungslos aus, was man damit machen kann, spielt mit stimmlosen Hauchlauten und Zungenschnalzen, Vibratoeffekten und aberwitzig hohen Tönen, die zum ekstatischen Kreischen mutieren können. In Ulf Wakenius findet sie den kongenialen Partner, der die mentalen Schwingungen und ihre plötzlichen heftigen Ausschläge aufnimmt, vorbereitet und begleitet. Zunächst agiert er alleine in einem Solo, das er Svensson gewidmet hat, zögernd kommen die Akkorde, die Harmonik ist schlichtes, fast sprödes Dur mit leichten jazzigen Einfärbungen, dann kommen ein paar wunderschöne Tonfolgen, wie sie Bach geschrieben haben könnte. Seine stupende Technik der rasenden mit dem Plektrum erzeugten Tonwirbel auf einer Saite, der wie gehetzt dahin jagenden Läufe packt Wakenius erst später aus, wenn Youn Sun Nah dabei ist. Das Publikum ist hingerissen von ihrer gehauchten Begrüßung auf Deutsch. „Lento“ heißt das neue Album der Sängerin, und der Name ist Programm. Es geht meist langsam und leise zur Sache, zeitweise umrahmen die zarten Töne lediglich die Stille dazwischen, die unglaubliche Power, die in dieser Stimme verborgen ist, blitzt nur ab und zu durch, ein spannendes Spiel auf der Spitze des Messers. Dann wird es ansatzlos theatralisch und unversehens auch witzig, wenn Youn Sun Nah mit beherrschten, aber eindringlichen Gesten ihre Geschichten singt, haucht, krächzt und schrillt. „Als ich das komponierte, vergaß ich, dass ich auch atmen muss“, bringt sie das Publikum zum Lachen, dann führt sie vor, was sie damit gemeint hat. Bei solch lang ausgehaltenen Tönen beginnt man unwillkürlich selbst, nach Luft zu schnappen. Nicht so die Sängerin, die in einem elegante Sturzflug landet und bruchlos weitermacht. Es ist ein Konzert der Extreme, das die beiden da abziehen zwischen atemloser Stille und furioser Raserei - einmal drischt Wakenius mit einer Plastikflasche die Töne aus den Saiten. „Ich bin verletzt, aber meine Zunge kann nichts sagen“, selten wurde Sprachlosigkeit plastischer in Szene gesetzt als von Youn Sun Nah.