Von Dorothee Philipp Müllheim. Wenn einer etwas zur schwäbisch-alemannischen Fasnacht zu sagen hat, dann der Volkskundler Werner Mezger, der quasi sein ganzes Wissenschaftlerleben den bunten Gestalten, dem närrischen Treiben, den skurrilen Bräuchen und den historischen Wurzeln gewidmet hat, aus denen sich die Fasnacht nährt. In seinem Diavortrag, den er für die VHS Markgräflerland im Müllheimer Bürgerhaus hielt, bekam das Publikum eine Ahnung davon, wie viele Lebensbereiche, kulturelle Eigenheiten und Jahrhunderte alte Traditionen in dieses Thema hereinspielen. Mezger stammt aus Rottweil, einer Hochburg des süddeutschen Fastnachtstreibens, wurde mit 29 Jahren promoviert und habilitierte sich 1989 mit dem Thema „Narrenidee und Fasnachtsbrauch“. Für den SWR kommentiert er regelmäßig fasnächtliche Live-Übertragungen. Mezger hat mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass die Fasnachtsbräuche Elemente heidnischer Winteraustreibung beinhalten, stattdessen hat er in seiner Forschungstätigkeit herausgefunden, dass das bunte Treiben das Ende der vegetationslosen Zeit bedeutet, in der die Landbevölkerung wenig zu arbeiten hatte. Er machte dies an den komplizierten Systemen des julianischen und des gregorianischen Kalenders fest, die mit den beiden Monaten Januar und Februar als „Irrläufer im Jahreslauf“ recht freihändig umsprangen und für die das Jahr am 1. März begann. Nebenher lernte man, woher der Eierberg an Ostern kam, der die ganzen Osterbräuche rund ums Ei generiert hatte: Die Eier hatten sich während der Fastenzeit angesammelt, in der keine tierischen Produkte außer Bienenhonig gegessen werden durften. Mezger schaffte es in seinem Vortrag, eine Vielzahl von fasnächtlichen Aspekten auf unterhaltsame Weise zu erklären. Als Germanist kam er dabei auch immer wieder auf unerwartete Wortverwandtschaften zu sprechen, etwa dass die Wörter Narr und Narbe die selbe Herkunft haben und etwas „Verwachsenes und Unreifes“ meinen. Bei der Verfolgung der Spur des Narren in der Geschichte wurde Mezger in alten illustrierten Bibelhandschriften fündig: In Psalm 53 sagt („dixit“) der Narr („insipiens“), es gebe keinen Gott. Anhand von mit Figuren verzierten Initialen zeigte Mezger, wie der Narr durch die Jahrhunderte Schritt für Schritt zu seiner heute überlieferten Gestalt kommt: Zuerst als Kahlköpfiger mit einer Keule, die in späteren Darstellungen ein kleines Gesicht trägt und zur „Marotte“ wird, dann kommen die Schellen auf dem Gewand dazu, Eselsohren und schließlich das gelbrotblaue Narrenkleid, dessen Farben Böses bedeuten. Anfang des 16. Jahrhunderts war die Gestalt ausentwickelt und ist seither der Prototyp Narr, der durch Sebastian Brants „Narrenschiff“ ab 1494 weitere Publicity erlangte. Mezger zeigte, wie sich Fasnachtsbräuche oft aus kirchlichen Zeremonien wie Prozessionen entwickelten. Und dann zum Reichtum der schwäbisch-alemannischen Fasnachtsfiguren: Teufel, Hansele, Glattlarven, Weißnarren – ein bunter Reigen von Fasnachtsgestalten turnte über die Leinwand. Und die Motive wurden oft von weit her importiert, aus den südlichen Ländern kamen sie mit den Wanderburschen über die Alpen, so dass manche Fasnachtsgestalt einer Figur aus mediterranen Ländern sehr ähnlich sieht. Dies nahm Mezger am Ende zum Anlass für ein leidenschaftliches Plädoyer für die unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen, in denen so viel Wissen, Geschichte und Lebensweisheiten eingelagert seien. Fasnacht habe sich als Brauch jenseits der Kirchturmpolitik durch fahrende Gesellen etabliert, könne als Modell gelten, wie man mit Ungewohntem, vielleicht sogar Angst machenden Dingen umgehen könne, sagte er und richtete dabei den Fokus auf das Stichwort Integration und Migrantentum. Mit Ernst Bloch plädierte er für den „Umbau der Welt zur Heimat“.