Müllheim (do). Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde im März 2009 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Bis aber alle Menschen mit Handicap einen vollen Anteil am gesellschaftlichen Leben haben, physische Barrieren und Barrieren in den Köpfen abgebaut sind, scheint es noch ein weiter Weg zu sein. Bei der Umsetzung dieser Konvention spielt die Kommunalpolitik eine Schlüsselrolle. Und hier gibt es eine Menge Handlungsfelder. Die aktuelle Situation der Menschen mit Behinderung und ihrer Möglichkeiten in der Region war Thema eines Fachgesprächs mit der Grünen-Landtagsabgeordneten Bärbl Mielich, dem Landesbehindertenbeauftragten Gerd Weimer und zahlreichen Vertretern von verschiedenen Institutionen. Mielich ist seit 2000 Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Grünen für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Das Treffen fand im 2012 eröffneten Werkzentrum der Christophorus-Gemeinschaft in Müllheim statt, wo zahlreiche Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap in Industriemontage und Schreinerei angeboten werden. Die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention sei „ernüchternd“, bilanzierte Weimer in seinem Impulsreferat. Deutschland stehe hier erst ganz am Anfang. Das bewusste Verwechseln von Integration und Inklusion nannte Weimer „Etikettenschwindel“. Denn die Inklusion setzt viel stärker auf die Selbstbestimmung der Menschen mit Handicap, für die es aber dann auch die entsprechenden Rahmenbedingungen brauche. Wie schwierig es ist, gute Konzepte in die Fläche zu bringen, wurde am Beispiel Bushaltestellen deutlich: Zwar werden sukzessive alle öffentlichen Haltestellen an den Zustiegen mit dem sogenannten Kassler Bord ausgestattet, doch noch lange nicht alle Busunternehmen, die den ÖPNV bedienen, haben auch die entsprechenden Niederflurbusse. Inklusion kostet Geld, bestätigte Weimer. Allein in Baden-Württemberg wären für die Umsetzung der wichtigsten Maßnahmen 53 Milliarden Euro notwendig. Hier könne eine Wiedereinführung der 1997 abgeschafften Vermögenssteuer helfen, die jährlich 1,5 Milliarden „aus vollgestopften Taschen“ dem richtigen Zweck zuführen sollte, ist sich Weimer sicher. Gerade auf dem Feld der Bürokratie noch etliche Hemmnisse Bei der Umsetzung neuer Maßnahmen sei die Einbeziehung der Betroffenen von Anfang an unerlässlich. Das Land habe für die Inklusion elf Handlungsfelder definiert und einen Aktionsplan erstellt, der an verschiedenen Ecken ansetzt: Schule, Bauordnung, Verkehr, dazu das bundesweit einmalige Landesbehindertenleistungsgesetz und das Programm „Impulse Inklusion“. „Ich habe nirgends in so kurzer Zeit so viel Fortschritt gesehen“, lobte Weimer sich auch ein Stück selbst. Von der Politik her stimme die Richtung. Auch Bärbl Mielich setzte auf diese Karte: Die grün-rote Regierung habe das Thema „ganz nach vorne gesetzt“ und das übergreifend in mehreren Ministerien. Auch sie war überzeugt, dass man im Land nach einem schlechten Start eine Menge bewegt habe. Doch es gibt noch viel zu tun: Etliche der Beiträge aus dem Alltag der Betroffenen zeigten, dass gerade auf dem Feld der Bürokratie noch etliche Hemmnisse bestehen, etwa wenn es um die Geldleistungen für das sogenannte Persönliche Budget geht oder um die zögerliche Inanspruchnahme von Weiterbildungsangeboten für Pädagogen. Dabei fiel auch das Wort „Besitzstandsverlustangst bei Lehrern“. Inzwischen seien aber auch sonderpädagogische Curricula in die Lehrerstudiengänge sämtlicher Schularten implementiert, berichtete Weimer. Denn nur so kann Inklusion in der Schule funktionieren. Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge tut sich etwas: Ab April soll bei solchen Auftragsvergaben laut Gesetz nicht ausschließlich das billigste Angebot berücksichtigt werden, sondern die Vergabe auch bevorzugt an sogenannte Integrationsunternehmen gehen, die eine bestimmte Quote ihrer Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung zur Verfügung stellen, sagte Weimer.