Mit stehendem Applaus bedankte sich das Müllheimer Publikum bei Rüdiger Nehberg für seinen mitreißenden Vortrag, den der Abenteurer, Überlebensexperte und Aktivist für Menschenrechte am Donnerstagabend in der Martinskirche gehalten hat. Mit seinen Erlebnissen und Geschichten, die er mit zahlreichen Fotos veranschaulichte, brachte er die Leute zum Staunen und vielfach zum Lachen. Bisweilen war einem aber einfach nur zum Heulen zumute. Von Claudia Bötsch Müllheim. Zum Staunen bringt einem bereits die Erscheinung Nehbergs, der mit 81 Jahren fit wie ein Flummi auf der Bühne agiert. „Ich sehe heute jünger aus als nach meinem 1000-Kilometer-Marsch mit 40 Jahren“ – den er ohne Proviant antrat und er sich deshalb von Heuschrecken ernährte –, kommentiert er selbst. Von der Backstube in den Urwald Der begnadete Erzähler nimmt seine Zuhörer mit auf eine Reise durch sein aufregendes Leben – und zieht sie von der ersten Sekunde in seinen Bann. Mit viel Humor zeichnet er seinen außergewöhnlichen Lebensweg nach – vom Besitzer einer florierenden Bäckerei in Hamburg zum weltbekannten Überlebensexperten und Aktivist. Spektakuläre Fotos dokumentieren seine Reisen und Abenteuer. Bilder zwischen Witz und Schock, zwischen Steinzeit und Gegenwart, von Freiheit und Gefangenschaft, von Leben und Tod. Viele davon lassen den Atem stocken: Beispielsweise Nehberg im Urwald mit einer riesigen Anakonda um den Hals. Oder im Angesicht von Krokodilen. Nehberg paddelte als erster Mensch den blauen Nil hinab. Zudem überquerte er per Tretboot und schließlich mit einem 18 Meter langen Baumstamm den Atlantik. Mit eigenen Kamelen durchquerte er die Danakil-Wüste in Ostafrika. Er zeigt auch, was ihn befähigt, monatelang an extremen Orten und in fernen Ländern bestehen zu können, „zwischen kalkulierbaren Naturgewalten und unberechenbaren Menschengestalten“. Zum Training und in Vorbereitung auf seine Trips war er beispielsweise auch schon bei den Kampfschwimmern der Bundeswehr. Seine Berichte machen indes auch deutlich: Es gibt Momente, in denen nur das Glück entscheidet, ob man überlebt oder nicht. „Wer mit der Herde geht, kann nur Ärschen folgen“ Nehberg will auch sein Publikum ermutigen, Neues auszuprobieren und unkonventionelle Wege zu gehen. „Denn wer immer mit der Herde geht, kann nur den Ärschen folgen.“ Vor allem will er aber auch aufrütteln, den Blick der Menschen dorthin wenden, wo Naturschutz und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Viele Jahre kämpfte er für die Yanomami-Indianer – das letzte große freilebende Volk im brasilianischen Regenwald. Sein aktuelles Großprojekt ist die „Karawane der Hoffnung“: Seit Jahren kämpft der 81-Jährige gegen das Verbrechen der weiblichen Genitalverstümmelung. Es wird vor allem in afrikanischen Ländern begangen – in einigen bereits seit über 5000 Jahren, unabhängig von Religion und Volkszugehörigkeit. Auch den Abend in Müllheim nutzt er dazu, um auf das millionenfache, ungeheure Leid aufmerksam zu machen. Seine Fotos und Berichte machen fassungslos: Etwa das Foto eines achtjährigen Mädchens, das starr, stumm und mit aufgerissenen Augen in die Kamera schaut. „Das Kind wurde vor drei Monaten beschnitten, seitdem hat es kein Wort mehr gesprochen“, kommentierte Nehberg. „Nicht nur der Körper wird zerstört, auch die Seele.“ Für seinen Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung hat Nehberg bereits im Jahr 2000 die Menschenrechtsorganisation „Target“ gegründet. Mit dem Islam als Partner will der Verein den Wahnsinn beenden. Kampf gegen Genitalverstümmelung „Täglich werden 8000 Mädchen ihrer Genitalien und damit ihrer Würde beraubt“, prangert Target an. Alle elf Sekunden eins. Viele sterben bei der Beschneidung, viele an den Folgen. Weltweit sind 150 Millionen Frauen betroffen. Dieses Verbrechen will die Organisation beenden. Da die weibliche Genitalverstümmelung unrichtig mit Heiligen Schriften und religiöser Pflicht begründet werde und die meisten Opfer Musliminnen seien, „sehen wir in der Kraft des Islam die größte Chance, den blutigen Brauch zu beenden“, so Nehberg. Targets „Pro-Islamische Allianz gegen weibliche Genitalverstümmelung“ hat das Ziel, den Brauch in allen Ländern als unvereinbar mit dem Koran und der Ethik des Islam, zur Gottesanmaßung und zur Sünde zu erklären. Hochrangige islamische Autoritäten haben sich dieser Allianz angeschlossen.