Stuttgart - Herr Wulz, Sie werben für Mundart in der Schule. Warum sollten Schüler Schwäbisch lernen?
Wir wollen niemanden zum Schwäbisch- Schwätzen zwingen. Man sollte es jedoch tolerieren, wenn Muttersprachler Dialekt sprechen. Jeder soll seine Muttersprache ehren und pflegen – ob das jetzt Schwäbisch, Fränkisch oder Türkisch ist. Es ist wichtig, sie als wertvolles Kulturgut zu erkennen. Bei schönen Fachwerkhäusern sieht jeder ein, dass es sich lohnt, sie zu bewahren. So ist das auch bei der Mundart. Ihre Serie „Auf gut Schwäbisch“ trägt übrigens viel dazu bei.
Wie viele Schüler sprechen denn noch Schwäbisch?
Ich hab’ am Goldberg-Gymnasium in Sindelfingen Deutsch und Geschichte unterrichtet. In solchen hoch industrialisierten Gegenden findet man nur noch wenige Dialektsprecher – höchstens vier bis fünf Kinder pro Klasse. Denen habe ich im Unterricht allerdings immer gesagt: Traut euch, Dialekt zu schwätzen. Manche tun das sogar von alleine. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das regelmäßig Einser-Aufsätze auf Hochdeutsch schrieb, ansonsten aber sagte: „I schwätz, wie mir’s Maul gwachsa isch.“ Das finde ich gut. Dialektsprecher sollten sich dafür nicht schämen müssen.
Wie war das bei Ihnen selbst?
Als Studenten in Tübingen haben wir uns für das Schwäbische geschämt. Dann haben wir Thaddäus Troll gelesen: „Deutschland Deine Schwaben“. Das hat Leute wie Gerhard Raff und mich ermutigt, uns zum Dialekt zu bekennen. Das war letztlich auch der Ausgangspunkt für unsere Aktivitäten.
. . . wie den Arbeitskreis Mundart in der Schule. Wie kam’s dazu?
Treibende Kraft waren die Mundartkünstler Hanno Kluge und Wulf Wager. Sie sprachen mich 2003 darauf an. Daraus entstand die Idee, Mundart-Autoren, -Sänger und -Kabarettisten für jeweils eine Doppelstunde an die Schulen zu holen – vergleichbar dem Friedrich-Bödecker-Kreis, der Autorenlesungen an Schulen organisiert. Jede Schule kann bei uns pro Jahr zwei Doppelstunden bestellen. Wir wollen damit die Mundart insgesamt fördern, also auch das Fränkische und das Alemannische. Finanziell unterstützt wird das Projekt vom Wissenschaftsministerium, vor allem aber vom Förderverein schwäbischer Dialekt in Tübingen.
Wird es auch in Anspruch genommen?
Sehr gut sogar. Angefangen haben wir mit landesweit 35 Veranstaltungen. In diesem Jahr waren es 68 Mundartdoppelstunden im ganzen Land. Bei rund 5000 Schulen ist das zwar ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Leute werden aufmerksam.
Was halten die Lehrer davon?
Manche Lehrer müssen wir erst noch gewinnen – besonders an den Gymnasien. Die alte Auffassung, dass in erster Linie die Hochsprache gelernt werden muss, um im Leben etwas zu werden, ist immer noch tief verwurzelt. Natürlich muss man die Hochsprache lernen, aber der Dialekt schadet nicht. Im Gegenteil. Wer seine Muttersprache beherrscht, dem fällt es leichter, andere Sprachen zu lernen. Das hängt mit den Sprachstrukturen zusammen. Das Schwäbische zeichnet sich durch höchst komplizierte grammatikalische Strukturen und eine Begriffsvielfalt aus. Diese Vielfalt trägt dazu bei, dass man die anderen Sprachen schneller lernt.
Kommt der Dialekt bei Schülern an?
Ja, bei den Schülern und bei den Eltern. Vor einiger Zeit war ich in Stuttgart-Rot in einer Klasse mit 80 Prozent Migrantenanteil und habe über Stuttgarter Spitznamen gesprochen. Wir haben eine schwäbische Szene gespielt; ein junger Türke war der Hofener Daudawächter (Totenwächter), der mit dem Spruch auftrat: „So, der lebt nemme!“ Er hatte einen Riesenspaß daran. Als ich nach der Schulstunde das Zimmer verließ, rief mir die Klasse nach: „So, der lebt nemme!“ Da habe ich gedacht: Lernziel erreicht.