Von Dorothee Philipp Neuenburg am Rhein. Seit drei Jahren laufen nun schon die archäologischen Arbeiten in der westlichen Neuenburger Stadtmitte. Immer wieder wurden neben alten Fundamenten auch Gegenstände gefunden. Doch von dem, was in den zurückliegenden Wochen ausgegraben wurde, sind die sonst eher sachlich-nüchtern argumentierenden Wissenschaftler hellauf begeistert: Eine große Anzahl von Keramik-Kacheln und -Modeln mit feinsten Ornamenten und Figuren. „Sensationell!“, schwärmt Bertram Jenisch von der Landesdenkmalpflege, der die Stadt schon seit über 20 Jahren bei verschiedenen archäologisch bedeutsamen Projekten begleitet. Die Fundstelle und die Art, wie die Scherben angeordnet waren, lässt auf eine Katastrophe schließen: Das Haus, in dem sie aufbewahrt waren, muss förmlich zusammengebrochen und möglicherweise abgebrannt sein. Dadurch, dass sich im Keller ein Hohlraum befand, in den die Sachen abgerutscht sind, seien die Stücke relativ unversehrt geblieben, sagt Grabungsleiter Stephan Kaltwasser. Funde sind auch Zeugen einer Katastrophe Zerstört wurde das Haus mit großer Wahrscheinlichkeit in den späten 1630er Jahren, als der Dreißigjährige Krieg auch am Oberrhein wütete. Dass die Archäologen das so genau wissen, ist den exakten Jahreszahlen zu verdanken, die auf einigen der Kacheln zu sehen sind: 1632, 1629 und sogar 1594. Dazu sind auch die Initialen der Handwerker eingraviert. Ein solcher Fund sei fast nicht zu toppen, schwärmt Jenisch. Er malt sich realistische Chancen aus, hier noch mehr zu erfahren über die Menschen, die diese kleinen Kunstwerke hergestellt haben. Denn es existieren aus jenen Zeiten noch so genannte Handwerkerrollen, in denen die Protokolle der Jahrestreffen festgehalten sind, die die Hafner jeweils in Breisach veranstalteten. Diese Urkunden werden nach Jenisch derzeit im Stadtarchiv von Colmar aufbewahrt. „Ich bin ganz sicher, dass wir hier Namen finden“, sagte er bei der Vorstellung der jüngsten Funde auf der Baustelle. Wie die Töpfer die Bilder und Ornamente auf die Kacheln bekamen, erläuterte Grabungsleiter Kaltwasser. Danach wurde zunächst eine Holzform im Positiv geschnitzt und diese dann in den weichen Ton gedrückt und dieser gebrannt. Diese Negativform drückte der Hafner dann in die Tonmasse für die Kachel. Um die beiden Formen trennbar zu halten, wurden sie mit einem Wasser-Mineralgemisch, Schlicker genannt, bestrichen. In den Modeln sichtbar sind auch die Fingerabdrücke der Handwerker, da wo sie die Form festhielten. Manche haben auch einen Knauf als Griff, damit der Hafner richtig zudrücken konnte. Religiöse und weltliche Motive beliebt „Die Handwerker sprechen selbst zu uns“, sagt Jenisch andächtig. Und die Ergebnisse sind in der Tat beeindruckend: Eine feine Dame mit hohem Spitzenkragen, die an Gemälde der englischen Königin Elisabeth I. erinnert, ein Löwenkopf mit haariger Mähne, ein Apostel Petrus mit riesigem Schlüssel, Blumen und Zierranken mit stecknadelkopfgroßen Elementen – religiöse und weltliche Motive waren offenbar gleichermaßen beliebt für die Verzierung der Kachelöfen der damaligen Zeit. Kaltwasser vermutet, dass es sich bei der Fundstelle um eine Art Verkaufskontor gehandelt hat, wo die Kunden Musterexemplare besichtigen und mit dem Handwerker verhandeln konnten. Denn in der unmittelbaren Umgebung habe man keine Brennöfen gefunden, wie sie im Zuge des Rathausneubaus vor vielen Jahren ans Tageslicht kamen. Die Lage der Fundstelle an der damaligen Marktstraße legt die Vermutung nahe, dass hier die Ware präsentiert wurde, die einige Häuser weiter produziert wurde. Was die Wissenschaftler auch strahlen lässt: Die Fundstücke dokumentieren nahezu vollständig die einzelnen Schritte der Produktion, vom Model bis zum fertig glasierten Werkstück. Dass man jetzt eine solch interessante Seite des Neuenburger Geschichtsbuchs aufgeschlagen hat, freut auch Bürgermeister Joachim Schuster. „Man sieht immer deutlicher, dass Neuenburg eine wichtige Handelsstadt war“, stellte er fest. Die Arbeit der Archäologen sei der Stadt „lieb und teuer“, auch wenn dadurch der geplante Bau einer ganzen Häuserzeile verzögert wird. „Neuenburg war wichtige Handelsstadt“ Die Grabungen, deren unterste Ebenen bis zum späten Mittelalter reichen, zeigen nicht nur die diversen Zerstörungen der Stadt, sondern auch die zähen Bemühungen der Bevölkerung um den Wiederaufbau nach jeder Katastrophe.