2001 reist Olga Peretyatko nach Berlin und verliebt sich sofort in die Stadt. Sie bewirbt sich an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, singt vor, bekommt einen Studienplatz. „Es war meine einzige Bewerbung. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt. Es musste Berlin sein. Die Atmosphäre dort gibt dir das Gefühl, dass du alles schaffen kannst.“
Bald ging’s auch schon los mit den ersten wichtigen Rollendebüts. 2007 zum Beispiel, als sie als Desdemona in Verdis „Otello“ Aufsehen erregte: in Pesaro, beim Rossini-Festival, wo sie auch ihren heutigen Ehemann, den Dirigenten Michele Mariotti, kennengelernt hat.
Die Sopranistin spricht fünf Sprachen: Russisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch. Wenn sie freihat, lebt sie in Berlin, außerdem in Bologna, wo ihr Mann Chefdirigent ist, und in Pesaro, seiner Heimatstadt.
"Wir Russen lächeln nicht gerne"
Was typisch russisch an ihr sei? „Wir Russen lächeln nicht gerne. Lächeln bedeutet, ich mag dich sehr. Wir verbinden damit nicht so sehr dieses ‚Hallo, freut mich, dich kennenzulernen‘. Am Anfang meines Studiums fragten mich Kommilitonen öfters: Worüber bist du jetzt so böse? Aber das war ich doch gar nicht.“
„La Traviata“ sei eine geniale Oper. Violetta wisse von Anfang an, dass sie sterbe. Das erkläre die Logik des Stücks. Es modern zu inszenieren, in die heutige Zeit zu verlegen, davon hält Peretyatko nichts. Diese Tragödie sei nur unter den damaligen sozialen Bedingungen verständlich. „Die gibt es so nicht mehr. Du kannst aus Violetta keine Prostituierte machen. Das wäre billig. Sie war eine Kurtisane. Das ist etwas anderes.“
Ansonsten aber unterscheide sie nicht zwischen „moderner und konservativer Regie“, sondern nur zwischen „guter und schlechter“. „Wenn das Story-Telling funktioniert, wenn die Geschichte also gut erzählt wird und alles glaubwürdig ist, dann ist alles mit mir möglich.“ In einer „Rigoletto“-Inszenierung habe der Regisseur einmal gefordert: „Sing deine Arie ‚Caro nome‘, und dann gehst du zu Giovanna und gibst ihr einen Zungenkuss.‘ Ich fragte: Warum? Erklären Sie mir die Logik! Er hatte keine Antwort parat. Ich sagte: ‚Dann mache ich das nicht.‘“
Wie sie das höllisch anstrengende Leben eines weltweit gefragten Opernstars bewältigt? „Ich betrachte mich als Athletin, und das heißt totale Disziplin. Klar bringt man als Sänger Opfer. Aber ich brauche nicht die große Party. Ich fühle mich auch alleine gut, lade meine Freunde gerne zu mir nach Hause ein.“
Jeden Morgen trinkt Olga Peretyatko frisch gepressten Zitronensaft. Und für den Riesenumfang der Belcanto-Rollen übt sie täglich ihre drei Oktaven Arpeggio: in Einzeltöne zerlegte Akkorde. Technik mache sicher. „Was rettet dich denn sonst, wenn du mal angeschlagen bist oder wenn du nicht mehr so jung bist und die Kondition nicht mehr hast? Mit einer guten Technik kannst du sehr, sehr lange singen. Und genau das habe ich vor!“