Rüdiger Safranski Die Uhren ticken überall

Thomas Morawitzky
Rüdiger Safranski erzählt eine spannende Geschichte der Zeit Foto: dpa

Rüdiger Safranski hat uns die Klassiker nahegebracht, die Romantik und die Philosophie. Jetzt behandelt der 70-jährige Literaturwissenschaftler die Zeit – mit leichter Hand und mit vielen Ideen quer durch Literatur- und Philosophiegeschichte.

„Die Zeit ist der Stoff, aus dem wir gemacht sind“: Mit diesem Satz beginnt Rüdiger Safranski das vorletzte Kapitel seines jüngsten Buches. In der Kunst, der Literatur und Musik gelangt der Mensch schließlich dahin, dass er mit der Zeit zu spielen meint. Im letzten Kapitel wird Safranski vom Menschen sprechen, dem es gelingt, die Zeit zu vergessen und aus ihr herauszutreten – nicht nur in der Kunst, auch in der Liebe, der Mystik oder dann, wenn er sich versenkt in Theorien über sie.

Rüdiger Safranski hat kluge, sehr lesbare und deshalb auch erfolgreiche Bücher über Goethe und Schiller, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger und die Romantik geschrieben. Im Januar feierte der Literaturwissenschaftler, der einst gemeinsam mit Peter Sloterdijk Gastgeber des philosophischen Quartetts im ZDF war, seinen 70. Geburtstag. Nun also schreibt er über jenes Thema, das immer das erste und zugleich letzte sein wird, das Fragen aufwirft, auf die es keine Antwort geben kann, über den Urgrund allen Denkens und aller Philosophie. Im Juni kam er als Gast des SWR ins Literaturhaus, las erste Auszüge aus seinem neuen Buch, und hier schon wurden der Tonfall leiser Dringlichkeit sowie die sanfte Polemik deutlich, mit der Safranski sein Thema angeht.

Geld ist wichtiger als Gott

„Zeit – Was sie mit uns macht und was wir mit ihr machen“ will vor allem auch ein zeitgemäßes Buch sein. Die Skepsis, mit der Safranski eine Welt betrachtet, in der – globalisiert, vernetzt und von Strömen imaginären Kapitals durchzogen – jede Differenz verschwindet, drängt sich nicht in den Vordergrund, hat aber ihre konsequenten und erschreckenden Momente. „Vieles“, heißt es im Kapitel über die bewirtschaftete Zeit, „deutet darauf hin, dass von den beiden Grundfiktionen gesellschaftlichen Lebens nicht Gott, sondern das Geld schlechter zu entbehren ist“. Mit gewohnt leichter Hand führt Safranski durch schwieriges Gebiet, stellt knapp und deutlich dar, was Kant und Hegel, Nietzsche und Heidegger über die Zeit dachten, verweilt bei Bergson, Husserl und Sartre, erinnert, am Rande und mit Sympathie, an Jacques Derrida, ruft viele literarische Zeugen auf. Die steten Begleiter auf seiner Reise durch die Zeit sind Augustinus und – natürlich – Marcel Proust.

Bewusst machen statt Wertung

Safranski erklärt seinen Lesern Einsteins Relativitätstheorien, ihren Ursprung bei Leibniz, zeigt ihre Opposition zu Newtons absoluter Zeit. Sie findet er, wenn auch fatal, fraglos leichter nachzuvollziehen: „Wer sich mit unaufgeräumten Kinderzimmern herumschlägt“, schreibt er, „wird sofort Anhänger des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik.“ Aber Safranski bewertet solche Konzepte nicht. Ihm geht es um das Bewusstsein, das mit ihnen leben und zu seiner Verantwortlichkeit finden muss. Jedes seiner zehn Kapitel ist ein Exkurs, der einen anderen Aspekt des Zeitbegriffs durchmisst und auf die Gegenwart abzielt.

Alle Kapitel schlagen einen Zirkel, der bei der Langeweile beginnt, bei dem auf sich zurückgeworfenen Subjekt, und über die Sorge, die Vergesellschaftung, Bewirtschaftung, Verwaltung und Ausbeutung der Zeit, die Zeit der Welt und des Weltraums, zu einem neuen, gesellschaftlichen Subjekt und seiner Eigenzeit zurückführt. Safranskis Forderung nach einer Politik, die diese Eigenzeit des Menschen anerkennt, mag sich ausnehmen wie ein chancenlos naiver Humanismus, ist dabei aber doch die Utopie einer Menschheit, die sich einen könnte, würde sie sich nur besinnen auf die Vergänglichkeit jedes Einzelnen.

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