Schopfheim „Bananen waren als erstes weg“

Markgräfler Tagblatt

25 Jahre Mauerfall: Im November 1989 beherbergte die Hülschematthalle in Eichen 170 DDR-Übersiedler

Von Werner Müller

Schopfheim. Friedliche Revolution, Mauerfall und Ende der DDR: Vor 25 Jahren zertrümmerte die Parole „Wir sind das Volk“ die scheinbar fest zementierte Zweiteilung der Welt in Ost und West, Kapitalismus und Kommunismus – und die Markgrafenstadt schrieb ein, wenn auch kleines, Kapitel Weltgeschichte mit.

Denn die Ausläufer des Erdbebens, das in jenem November 1989 die Welt erschütterte, drangen buchstäblich bis ins Wiesental vor: Am 13. November nahmen 120 Übersiedler aus der (damals noch existierenden) DDR die Hülschematthalle in Eichen in Beschlag und sorgten dafür, dass sich eines der vielen kleinen Märchen, die den Weg zur deutschen Wiedervereinigung pflasterten, ausgerechnet im Dorf am Fuße des Dinkelbergs abspielte.

Und das kam so: Nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze hatten Zehntausende von DDR-Bewohnern per Ausbürgerungsantrag „rüber gemacht“. Der Landkreis Lörrach sah sich quasi über Nacht in der Pflicht, mehr als 100 Übersiedler irgendwie und irgendwo unterzubringen.

Auf die Hülschematthalle in Eichen war das Zivilschutzamt in Lörrach freilich nicht von sich aus gekommen. Schon als sich der Exodus der DDR-Bürger in Richtung Westen abzeichnete, hatte vielmehr hatte der damalige Schopfheimer Bürgermeister Klaus Fleck von sich aus die Halle als Unterkunftsmöglichkeit ins Spiel gebracht. Sie bot ideale Voraussetzungen, genügend Platz und verfügte vor allem über ausreichend sanitäre Anlagen für so viele Menschen.

Fleck bietet Halle an

„Der Bürgermeister rief mich an und fragte mich, ob wir die Halle zur Verfügung stellen können“, erinnert sich Hans Keller, seinerzeit Ortsvorsteher von Eichen. Die Hülschematthalle war noch „ganz neu“, nicht eine Veranstaltung hatte bis dahin in ihr stattgefunden. Nach kurzer Rücksprache mit den Vereinen stimmte Keller zu.

Und dann brach die Weltgeschichte über Eichen herein: Unter Federführung des Landratsamtes modelten DRK, Feuerwehr, THW und andere Hilfsorganisationen die Halle in ein Notaufnahmelager mit 140 Feldbetten und Gulaschkanone um, einen Tag später brachten Busse 120 übermüdete DDR-Bürger aus einem ersten Notaufnahmelager in Rastatt nach Eichen.

„Die meisten hatten nur einen Koffer dabei“, weiß Hans Keller zu berichten. Die Menschen, darunter auch viele Familien mit Kindern, machten es sich in der Bettenburg auf engstem Raum so bequem, wie es eben ging, und träumten von einem Job im Westen, einer schönen Wohnung und einem Auto, das nicht Trabant oder Wartburg heißt.

Anständige Leute

„Es waren anständige Leute“, so der ehemalige Ortsvorsteher. Die Dorfbewohner empfingen die Gäste aus dem anderen Teil Deutschlands mit einer gehörigen Portion Neugier – und mit Wein und Obst. „Es herrschte schon Aufregung im Dorf – aber eine freundliche“, erinnert sich Keller.

In den Tagen nach der Ankunft der Übersiedler kam denn auch eine Welle der Hilfsbereitschaft in Schwung. Firmen boten Jobs an, Menschen aus der ganzen Region spendeten warme Kleidung und Spielsachen. Schon bald quoll das Lager über, und die Hilfsorganisationen mussten Spender sogar abweisen.

Das Landratsamt bat die Bevölkerung auch um Obst-Spenden, vor allem auf Südfrüchte hatten die Menschen aus der DDR Heißhunger. Hans Keller weiß noch gut, dass der CDU-Stadtverband seinerzeit korbweise Früchte in die Hülschematthalle brachte. „Die Bananen waren als erstes weg“, schmunzelt er heute noch.

Lust auf Südfrüchte

In der Hülschematthalle und im ganzen Dorf herrschte in jenen Novembertagen eine Art Ausnahmezustand. Kaum hatten einige der Übersiedler die Notunterkunft verlassen, weil sie bei Bekannten oder Verwandten eine Bleibe fanden, rückten neue nach.

Der Zeitplan der Behörden jedenfalls geriet gehörig durcheinander. Ursprünglich hatten sie damit gerechnet, das Bettenlager nach wenigen Tagen wieder abbauen zu können. Doch es wurden mehrere Wochen daraus. Erst unmittelbar vor Weihnachten, am 23. Dezember 1989, packten die letzten der Übersiedler ihre Siebensachen zusammen – und die Weltpolitik verabschiedete sich nach einem gut vierwöchigen Intermezzo wieder aus Eichen.

Das Dorf überstand den Trubel im Übrigen ebenso unbeschadet wie die Halle, die ihre Feuertaufe mit Bravour gemeistert hatte. „Es gab trotz der intensiven Nutzung fast überhaupt keine Schäden“, erinnert sich Hans Keller. Nur eine Wand habe man nach dem Abbau des Notlagers neu streichen müssen. Kein allzu hoher Preis in Anbetracht der Tatsache, bei einem Ereignis von welthistorischer Bedeutung zumindest aktive Randfigur gewesen zu sein.

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