Schopfheim Der Anfang vom schrecklichen Ende

Markgräfler Tagblatt

Reichspogromnacht: Vor 75 Jahren klirrten auch in Schopfheim die Fensterscheiben jüdischer Geschäfte

Von Werner Müller

Schopfheim. Steine flogen, Fensterscheiben klirrten und die Nazis marschierten mit Fackeln durch die Straßen: Heute genau vor 75 Jahren erhob auch die braune Barbarei in der Markgrafenstadt zum ersten Mal für jeden sichtbar ihr Haupt – in der so genannten Reichspogromnacht.

Während in ganz Deutschland am 9. November 1938 die Synagogen in Flammen aufgingen (darunter auch jene in Lörrach) und Hunderte von Menschen jüdischen Glaubens ums Leben kamen, gab es in Schopfheim zwar keine Toten. Eine Synagoge besaß die kleine jüdische Gemeinde - seinerzeit lebten etwa 31 Juden in der Stadt – ohnehin nicht. Schrecklich genug war die Pogromnacht gleichwohl.

„Es kam auch in Schopfheim zu Ausschreitungen gegen jüdische Bürger und ihren Besitz“, schreibt die Historikerin Christiane Scheidemann in ihrem Beitrag zur Stadtchronik.

So schlugen die Nazis die Schaufenster des Textilgeschäftes von Martha Picard in der Scheffelstraße ein. Angeblich war es die Tat eines Einzelnen. Dieser galt in der Stadt aber seit jeher als fanatischer Anhänger der braunen Machthaber. In der Hauptstraße, die seinerzeit Adolf-Hitler-Straße hieß, plünderten die Nazi-Horden zwei weitere jüdische Geschäfte.

Jene Novembernacht markierte in Schopfheim ein Zäsur. Bis dahin hatte es in der kleinen Stadt keine Übergriffe gegen jüdische Mitbürger gegeben. Auch die staatlich angeordneten Enteignungen im Zuge der so genannten Arisierung der Wirtschaft hatten hier zunächst nicht mit voller Wucht durchgeschlagen.

„In dieser Hinsicht stellt Schopfheim – nun unter der Regentschaft Bürgermeister Blanks – eine positive Ausnahme dar“, so die Historikerin Christine Scheidemann. Noch bis Oktober 1940 durften die jüdischen Familien, die kleine Geschäfte Manufakturwaren- oder Viehhandlungen betrieben, wenigstens einen Teil ihre Grundstücke behalten und daraus ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Nach der Pogromnacht indes war alles anders. Ein Tuchhändler, der seit Jahren ins Wiesental kam und seinen Kunden – wie damals üblich – Kredit eingeräumt hatte, bekam auf einmal sein Geld nicht mehr zurück. Und nicht nur das: Man hatte ihn in jener Nacht „übel zugerichtet“.

Eine Zeitzeugin erinnerte sich einst: „Wir kannten ihn nicht mehr, so hat er ausgesehen, seine Zähne hatte man ihm ausgeschlagen“. Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen Juden war endgültig gefallen, so Christine Scheidemann.

Die Reichspogromnacht kündigte auch das tragische Ende des jüdischen Lebens in Schopfheim an. Wer konnte, verließ die Stadt und das Land - so wie die Picards, die einen Schweizer Pass besaßen. Den anderen blieben nicht einmal mehr ganz zwei Jahre: Im Oktober 1940 wurden die zehn jüdischen Bürger, die noch in der Stadt lebten, ins südfranzösische Lager Gurs deportiert.

Wie sich das abspielte, schilder der Schopfheimer SPD-Kreis- und Stadtrat, Heiner Schneegaß, in seinem Erinnerungsbuch aus dem „Stedtli“: „Dann kam der Tag, an dem ein großes Polizeifahrzeug vor dem Haus der Familie Auerbach stand und Bella und ihre Schwester Klara, begleitet von Männern, die Ledermäntel anhatten und Hüte trugen, in diesen Wagen einsteigen mussten“.

Eine Frau, Katharina Waldi, brachte sich aus Verzweiflung wegen der drohenden Verschleppung auf dem Marktplatz mit Gift um. Alle anderen – Bella Auerbacher, Samuel und Friederike Braunschweig, Samuel Moses, Salomon und Klara Weil, Berta Grünbaum sowie Berta und Herbert Mayer – mussten binnen einer Viertelstunde ein paar Habseligkeiten zusammenpacken und die Lastwagen besteigen. Über die Zwischenstation in Freiburg landeten sie in Gurs, ehe die Nazis sie alle in den Vernichtungslagern im Osten ermordeten.

An ihr Schicksal erinnert seit sechs Jahren ein Gedenkstein auf dem Platz zwischen Museum und Alter Kirche. Er entstand auf Initiative des damaligen Stadtpfarrers Matthias Weber im Rahmen eines ökumenischen Mahnmal-Projektes, an dem sieben Jugendliche aus Schopfheim teilnahmen (wir berichteten).

Übrigens: Vor 25 Jahren, aus Anlass des 50. Jahrestags der Reichspogromnacht, fand in Schopfheim noch eine ökumenische Gedenkfeier statt, bei der Pfarrer beider christlichen Konfessionen ein „Schuldbekenntnis“ vortrugen. Heiner A. Baur rief die Geschehnisse des 9. November 1938 in Erinnerung, indem er die Berichte von Zeitzeugen vortrug.

Und was ist mit den Gedenkveranstaltungen zum heutigen 75. Jahrestag der Pogromnacht in Schopfheim? Fehlanzeige.

Von Werner Müller

Schade. Und traurig zugleich. Dass die Stadt Schopfheim heute nicht einen Augenblick innehält und der schlimmen Szenen gedenkt, die sich am 9. November 1938 auch hier abspielten, ist ein unverzeihliches Versäumnis.

Natürlich: Es ist 75 Jahre her seit jener Reichspogromnacht, als in Deutschland der braune Mob wütete, Hunderte von jüdischen Mitmenschen tötete, ihre Geschäfte plünderte und ihre Gotteshäuser in Schutt und Asche legte. Und ja: In Schopfheim war es ja nicht ganz so schlimm.

Schlimm genug war es trotzdem. Man mag sich gar nicht vorstellen, was in den Männern, Frauen und Kinder der Familien Auerbacher und Mayer und allen anderen vorgegangen ist, als die Nazis grölend durch die Stadt marschierten, Scheiben zerdepperten und die Geschäfte plünderten. Es war der Anfang eines schrecklichen Endes.

Darum darf es kein Vergessen geben. Erst recht nicht für eine Stadt, die die Losung „Traditionsbewusst in die Zukunft“ vor sich herträgt. Denn zur Traditionspflege gehört auch und erst recht, dass man die dunklen Seiten der Vergangenheit nicht ausklammert – wenn man denn nicht Gefahr laufen will, dass diese in Zukunft wieder aufleben.

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